Geistige Landesverteidigung von der Kriegslust befreien

Ein Beitrag für den Frieden von Michael Karjalainen-Dräger.

Autor: Michael Karjalainen-Dräger. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier. Die neuesten Pareto-Artikel finden Sie auch in unserem Telegram-Kanal.


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Das große Missverständnis mag schon im Begriff „Landesverteidigung“ grundgelegt sein, die immer mit militärischer Intervention verbunden wird. Tatsächlich aber sollte es dabei um eine Verteidigung des Friedens gehen, zu der jede und jeder von uns einen wesentlichen Beitrag leisten kann, ja muss. 


Auch wenn es niemand in Aussendungen des offiziellen Österreich so formulieren würde, zwischen den Zeilen lassen sich Aussagen zur so genannten „Geistigen Landesverteidigung“ (GLV) sehr wohl so lesen, dass man (junge) Menschen zur „Wehrfähigkeit“ bewegen will. Auch dieser Begriff hat noch einen euphemistischen Unterton, da sind unsere deutschen Nachbarn schon klarer, die Kriegstüchtigkeit einfordern. Und will die (un)selige Alpenrepublik dem wirklich nachstehen?

Der Begriff der geistigen Landesverteidigung taucht meinen Recherchen nach erstmals in den 1930er-Jahren auf und diente dazu, dem sich anbahnenden Faschismus zu widerstehen. Der Erfolg war Enden wollend. Nach den Gräueln des Zweiten Weltkriegs holte man ihn wieder aus der Schublade und wollte die Bevölkerung immun gegen den Kommunismus machen. In Österreich ist die GLV Teil der „umfassenden Landesverteidigung“ (ULV). Wenn man auf die diesbezügliche Webseite des Verteidigungsministeriums klickt, findet man einen Hinweis auf Artikel 9a des Bundes-Verfassungsgesetzes und den Vermerk „Text ist in Bearbeitung“. Tja, ein Schelm wer Böses dabei denkt. In Bearbeitung ist derzeit nämlich das komplette Verteidigungsnarrativ, das auch im Land der immerwährenden Neutralität zusehends aufs Nachdenken über und Planen von Maßnahmen wie Skyshield, eine gemeinsame europäische Armee oder gar notwendige Präventivschläge nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ ausschlägt. Und da will man natürlich möglichst viele Menschen mit an Bord haben, also muss das Bildungssystem stärker als bisher integriert werden. Detaillierte Informationen und Links auf den Internetseiten des Bildungsministeriums inklusive Stundenbildern und Power-Point-Präsentationen geben einen deutlichen Hinweis darauf. Auch soll – so wurde kürzlich beschlossen – das Thema wieder verstärkt im Unterricht präsent werden, daher wurden auch Lehrpläne und Schulbücher entsprechend angepasst.

Aber zurück zur österreichischen Verfassung. Im besagten Artikel 9acht=) wird ein Bekenntnis zur ULV abgelegt, mit dem Ziel „die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität.“ Um das zu gewährleisten seien „die militärische, die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung“ notwendig. In zwei weiteren Absätzen wird auf die Verpflichtung männlicher Staatsbürger zum Wehrdienst hingewiesen und die Möglichkeit eröffnet, diesen aus Gewissensgründen zu verweigern und an dessen Stelle einen „Ersatzdienst (Zvildienst)“ zu leisten. Staatsbürgerinnen haben das Recht, sich diesem freiwillig zu stellen.

Es ist durchaus eine Chuzpe, wenn jene Bürger, die sich für ein Beibehalten des neutralen Österreich mittlerweile als Nestbeschmutzer gelten, obwohl diese Haltung verfassungsrechtlich ja eine der Aufgaben im Rahmen der geistigen Landesverteidigung ist. Nun ja, die Zeiten ändern sich – oder wie der ehemalige Nationalratspräsident von der Volkspartei (ÖVP) es formulierte: „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit.“ Und die österreichische Bundesverfassung ist offenbar mit dieser Formulierung schon aus der Zeit gefallen. Die Frage bleibt, wie lange dieser Wortlaut noch Bestand hat. Um die Verfassung zu ändern braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die die amtierende Dreier-Koalition nicht hat. Die Freiheitliche Partei Österreichs, die als Wahlsieger aus den letzten Bundeswahlen hervorgegangen und dennoch in Opposition gelandet ist, wird einer solchen Änderung aus populistischen Gründen nicht zustimmen. Bei einer Regierungsbeteiligung sähe es womöglich anders aus. Wackelkandidat sind die Grünen. Wenn man ihnen „Klimawandelhonig“ ums Maul schmierte, wären sie wohl auch für eine Neudefinition der Neutralität zu haben. Mal sehen.


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Betrachtet man die Diskussion zum Thema, dann wird schnell klar, dass alle Bemühungen in Sachen GLV der klaren Meinungsführerschaft des Militärs und der Verteidigungsministerin unterliegen. Und da liegt die Betonung auf: „Militärische Neutralität: ja, politische Neutralität: sicher nicht.“ Dabei aber wird die Tatsache verkannt, dass es immer Entscheidungen der Politik waren, die zu Kriegen geführt haben. Zudem wird jene Voraussetzung für den österreichischen Staatsvertrag mit Füßen getreten, die vor allem Russland nach langwierigen Verhandlungen zur Unterschrift bewegt hat und ein freies Österreich ermöglicht hat. Auch ist die Reputation des Landes in der Mitte Europas in Sachen Unabhängigkeit, die dazu geführt hat, dass etwa die UNO einen ihrer Sitze nach Wien verlegt hat, mittlerweile schwer in Mitleidenschaft gezogen.

Und nun sollen alle Staatsbürger bildungspolitisch von der Wiege bis zur Bahre dazu genötigt werden, die Doktrin von der notwendigen geistigen Landesverteidigung neu zu lesen und endlich vollumfänglich zu verstehen. Wer aber Verstand besitzt, wird unschwer erkennen, dass dahinter nichts anderes als Kriegstreiberei und Profitmaximierung der Rüstungsindustrie stecken.

„Geistige Landesverteidigung versteht sich als nichtmilitärischer Beitrag zur Friedenssicherung“ ist da im Internetauftritt des Bildungsministeriums zu lesen, wenn sie aber auf den Kriegsfall vorbereiten will und die Bevölkerung zu einem Einsatz an der Front animieren mag, dann widerspricht sie ihrer eigenen Intention. Also gilt es sich auf die Ursprünge dieser Idee zu besinnen und genau das Gegenteil ins Auge zu fassen.

Zwischenzeitlich sind zahlreiche Initiativen entstanden, die regional oder sogar lokal beginnen und sich nach und nach über Land und Kontinent ausbreiten, wie etwa „1 Million Stimmen für den Frieden“ oder „Väter und Söhne singen für den Frieden“. Auch Journalisten wie Milosz Matuschek mit dem neu gegründeten Medium „Friedenstaube“ oder Christoph Pfluger im schweizerischen Zeitpunkt beschwören die Notwendigkeit einer friedvollen Welt. Und hie und da melden sich auch Künstler zu Wort und erinnern sich an ihre Aufgabe, Menschen von den Narrativen der Herrschenden zu befreien. Bertold Brecht war so einer, der mit seiner legendären Aussage „Stell dir vor es gibt Krieg und keiner geht hin“ nicht nur zum Nachdenken, sondern zu konkreten Handeln aufrufen wollte. Oder Reinhard Mey, der 2020 sein bekanntestes Friedens-Lied „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht“ aus 1986 mit Kollegen kongenial neu vertont hat. Auch Sachbuch-Autoren widmen sich, wenn auch meist von der großen Öffentlichkeit unbeachtet, dem Thema Frieden und erinnern an die Möglichkeiten zum gewaltfreien Widerstand wie etwa Martin Arnold in seinen Ausführungen über Gütekraft oder eine bereits 2008 veröffentlichte, aber erst kürzlich ebenfalls im Nomos-Verlag in deutscher Übersetzung erschienene Studie zur Wirkung von zivilem Widerstand.

Geistige Landesverteidigung muss dringend von ihrer Kriegslust befreit werden, geht es doch vielmehr um eine Verteidigung des Friedens, die tatsächlich dazu führt, dass ein Land und seine Bevölkerung heil bleiben. So betrachtet hat also jede und jeder von uns die Aufgabe, einen wesentlichen Beitrag dazu zu leisten. Das kann im ganz direkten Umfeld beginnen, in dem man sich mit den Grundlagen der gewaltfreien Kommunikation und Konfliktbearbeitung beschäftigt und von da aus weitere Kreise ziehen, die Menschen auf lokaler und regionaler Ebene erreichen. Denn nur was im Kleinen und ganz Persönlichen beginnt, kann das große Ganze wirklich nachhaltig verändern. Und auch dieser Prozess, dieser Weg beginnt mit einem kleinen ersten Schritt. Dieser sollte unbedingt noch heute erfolgen.  


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