„Keiner kommt heil aus dem Krieg wieder raus!“

Erkundungen zu (m)einer anti-militaristischen Mensch-Werdung. Ein mehrteiliger Essay von Bernd Schoepe, Teil 1.

Autor: Bernd Schoepe. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier. Die neuesten Pareto-Artikel finden Sie in unserem Telegram-Kanal.

Die Anmerkungen zum Text (Fußnoten) folgen aus technischen Gründen gesondert.


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Es handelt sich beim Krieg nicht nur um eine Zerstörung von (…) Millionen Menschen, sondern um die Zerstörung der gesamten sozialen, moralischen und menschlichen Struktur einer Gesellschaft, von der man überhaupt nicht voraussehen kann, welche weiteren Konsequenzen an Barbarei, an Verrücktheit sie (…) mit sich bringt. (..) 

Die Gewalt kann fast alles mit den Menschen machen. Es ist wichtig zu sehen, dass es nur fast alles ist. Sie kann mit einigen Menschen nicht das machen, was sie will, nämlich ihre seelische Struktur, ihre Überzeugungen ändern und mit allen Menschen kann sie nur das machen, was sie will, wenn sie gewisse, sehr schädliche Nebenerscheinungen in Kauf nimmt: die Nebenerscheinung der Verdummung, der Lähmung der Vitalität, der Einbildungskraft, dem Schöpferischsein des Menschen. In vielen Fällen aber sind die, die die Gewalt ausüben gar nicht daran interessiert, dass diese Folgen nicht eintreten. Im geschichtlichen Prozess allerdings bleiben diese Folgen von großer Wichtigkeit.“

Erich Fromm, Zur Theorie und Strategie des Friedens (1969).

„Solange Kriege geführt werden, wird uns Kummer plagen, werden kräftige Beine nutzlos werden und strahlende Augen dunkel.“

Sean O’ Casey, Der Preispokal

Der Friede geht uns alle an – Vom Krieg profitieren aber immer nur Wenige

Gerne komme ich zum Einstand als Mit-Autor dieses wunderbaren Projekts „Die Friedenstaube“ dem Wunsch nach, über meine biographischen Hintergründe in Bezug auf das Friedensthema zu schreiben. Obwohl mein erster Impuls doch eher zögerlich war: „Darauf kommt es doch gar nicht an!“, schoss es mir zunächst durch den Kopf. 


Geht der Frieden doch uns alle an, und zwar so stark, dass alle persönlichen Gründe, Motive, Unter-, Ober- und Zwischentöne zu dem Thema eigentlich kaum eine Rolle spielen können… – oder!? Erliegen wir nicht sogar einer ganz und gar deplatziert wirkenden Eitelkeit angesichts des „Alles oder Nichts“, um das es bei der Frage nach Krieg oder Frieden geht, wenn wir glauben, wir müssten, um für den Frieden einzutreten, irgendwelche individuellen Gründe oder spezielle biographische Motive ins Feld führen?

Für den Frieden muss man sein, weil und insoweit man ein Mensch ist (1). 

So grundsätzlich und selbstverständlich, wie es der Autor des berühmten Anti-Kriegsromans „Im Westen nichts Neues“, Erich Maria Remarque, ausdrückte:

„Ich dachte immer, jeder Mensch sei gegen den Krieg. Bis ich rausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, nämlich die, die nicht hingehen müssen.“

Erneut ist dieses Zitat – und welche Bitterkeit und welcher „Abscheu vor der Weltgeschichte“ (Erwin Chargaff) liegen darin, dies konstatieren zu müssen! – zum Wort der Stunde geworden. Auch heute wird wieder von der herrschenden  Politik und den Leitmedien weitgehend ausgeblendet, welche Interessen hinter der allgemeinen Mobilmachung zum Krieg am Werke sind und wer von ihr wirklich profitiert.

Mit Erich Fromm gesprochen sind Kriegsbegeisterung und Kriegshysterie Kennzeichen von nekrophilen Gesellschaften. Wann hat sich unsere Gesellschaft offiziell so krass vom Leben und vom Wert des Lebendigen verabschiedet? Wie konnte es aufs Neue soweit kommen?

Die Zumutungen, die in der Logik, der Unterordnung unter das Prinzip der Nekrophilie liegen und die vom Krieg auf die Spitze getrieben werden, sind von Hannes Wader im „Einheitsfrontlied“ prägnant auf den Punkt gebracht worden:

„Und weil der Mensch ein Mensch ist

Drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern.

Er will unter sich keinen Sklaven sehen

Und über sich keinen Herrn.“ 

(2) 

Die Ordnung des Krieges aber stellt in gewisser Weise die Vollendung der auf Herrschafts- und – in seiner neoliberalen Ausprägung – Markt- und Mammon-Vergottung und der auf Arbeitssklavengehorsam der Massen basierenden Abhängigkeits- und Ausbeutungsverhältnisse dar. Unter dessen Joch leben im Kapitalismus des 21.Jahrhunderts die Menschen weltweit. Wobei die Anzahl derer, die unter diesen Bedingungen in extremer Armut dahinvegetieren müssen –  schließlich setzt „leben“ ein Mindestmaß an Würde voraus – sich global auf über eine Milliarde Menschen beläuft. 
Willy Brandt hat gesagt: „Der Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts“. Sein Gegenteil – der Krieg – ist die schlimmste Kollektiverfahrung, die eine Generation erleben kann. Zuletzt musste die Generation meiner Eltern und Großeltern diese Erfahrung durchmachen.

Wir Nachgeborenen können uns das Grauen, das Elend des Krieges, das unendliche Leid, das er über die Menschen bringt, nicht wirklich vorstellen. Wir können aber um die Ausmaße des Zivilisationsbruchs des Ersten Weltkrieges und dann, noch einmal furchtbar gesteigert, des Zweiten Weltkrieges wissen. Und als zum Mitfühlen fähige Wesen können wir ermessen, was es heißt, im Krieg zu sein:

Keiner kommt aus dem Geschehen in einem Kriegsgebiet wieder heil raus, das macht etwas mit einem. Auf der anderen Seite (…) muss man sich immer klar machen, das eine ist das Geschehen im Kriegsgebiet, aber das andere sind die Kriegstreiber. (…) Sie sitzen da, wo einem nichts geschieht (…)“, 

so Patrick Baab, der als einer der wenigen Journalisten wiederholt im umkämpften Kriegsgebiet der Ost-Ukraine war und seine Eindrücke erster Hand in dem Buch „Auf beiden Seiten der Front. Meine Reisen in die Ukraine“ geschildert hat.

Dass diese Teilung in solche und solche, die Remarque in seinem Zitat lakonisch-pointiert thematisiert, auch heute wieder beobachtet werden muss, d.h. Politik und Leitmedien von (ahnungslosen?) Kriegsverharmlosern und Kriegstreibern und ihrem bellizistischen Geschrei beherrscht werden, während die Mehrheit des Volkes sich weiterhin sehnlichst Frieden wünscht, auf diesen erschreckenden Sachverhalt und was  aus ihm geschlossen werden müsste, hat Baab kürzlich im Interview mit dem Overton-Magazin hingewiesen (3).

Ein Hinweis am Ende dieser Einleitung:

Ich muss den Leser vorab um Geduld bitten, denn mein Text wird mit der autobiographischen Tür nicht gleich ins Haus, weder in das des Krieges noch in das des Friedens fallen. 

Die ersten Teile (II –V) werden im Zeichen der politischen Analyse stehen. Einer Analyse, die nicht vor dem Hintergrund meiner eigenen, sondern der bundesdeutschen Geschichte und einige ihrer größten blinden Flecken – mit Ulrike Guérot könnte man auch sagen „ihrer größten Märchen“– unternommen wird. Dass mein antimilitaristisches Ich in Interaktion zu dieser Geschichte stand und steht, muss wohl nicht eigens betont werden. 

Erst nach dieser Erkundung des Makrokosmos werden sich im Verlauf des Textes von da aus, nach einer Durchleuchtung seiner Bedingtheiten, Zugänge zum eigenen Mikrokosmos eröffnen. Sonst wären sie vermutlich als autobiographische Lesart des Themas nicht offen zu Tage getreten, möglicherweise mir sogar ganz verschlossen geblieben. So aber darf mit guten Gründen vermutet werden, dass das persönlich hier von mir Festgehaltene und Fokussierte nicht nur mich angeht. Vielmehr erscheint es in dem Maße verallgemeinerbar zu sein, wie durch den Fortgang meiner Darlegungen jeder Leser individuell (hoffentlich) ebenfalls dazu motiviert werden kann, die Frage zu reflektieren, was es bedeutet, wenn es sich bei der persönlichen Begegnung mit dem Krieg um eine Begegnung auf den zweiten oder sogar dritten Blick handelt?

Der Nachkriegs-„Frieden“ als die Zeit ernst gemeinter, nicht enden wollender Kriegsspiele

„Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“

Das war die Lehre aus den Weltkriegs-Zivilisationszusammenbrüchen, die vor allem anderen, wenn auch auf verschiedene Weise, als DNA beiden deutschen Republiken, zu ihren Gründungszeiten eingeprägt wurde.

Was aber ist aus dieser DNA geworden? 

Heute lassen wir zu, dass in Manier des NS-Reichspropagandaministers Goebbels von „Kriegstüchtigkeit“ als Staatsziel schwadroniert wird (4), das man bitteschön mal bis 2030, mal schon 2027 erreicht haben müsse, weil sonst „der Russe“ am Brandenburger Tor stehe. Mit „Kriegstüchtigkeit“ sind immense, unvorstellbare Summen an Geld gemeint, neue Schulden, die in die Rüstung und Militarisierung der Gesellschaft fließen sollen und folglich anderswo, für eine menschliche, dem Leben dienende Politik, schmerzlich fehlen. Die Militarisierung soll nun wieder, wie im Wilhelminismus und im Dritten Reich, von Kindesbeinen an propagiert und gefördert werden. 

An den Schulen darf der Beutelsbacher Konsens mit seinem Überwältigungsverbot – er wurde schon in der Corona-Zeit mit schlimmsten Folgen für die Kinder und Jugendliche  missachtet (5 https://www.cicero.de/kultur/fuenf-jahre-schulschliessungen-corona-aufarbeitung) – nun auch der Wehrertüchtigung der jungen Generation und dem Ruf „Zu den Waffen!“ auf keinen Fall mehr im Wege stehen. Völlig abstrus: Schüler, die gegen die Kriegsertüchtigung an den Schulen protestieren, werden dafür von Pädagogen (!) wegen „Störung des Schulfriedens“ bestraft. Antimilitaristische, pazifistische Haltungen werden ausgegrenzt und kriminalisiert. Mittels Framings sind, wie schon in der Corona-Zeit, die Mainstream-Medien erneut eifrig dabei, die vernünftig-skeptischen Stimmen moralisch zu diskreditieren. Wurden zu Plandemie-Zeiten jene, die die Verhältnismäßigkeit der staatlichen Maßnahmen in Frage stellten und sich der systematisch betriebenen Panikmache und Massenpsychose verweigerten, öffentlich verächtlich gemacht, werden nun all jene, die für Abrüstung, Diplomatie und Völkerverständigung plädieren,  diffamiert und ins gesellschaftliche Abseits gestellt. 

Dennoch regt sich kein massenhafter Protest, der den Minister, der die Kriegstüchtigkeit zum Gesellschaftsziel erhoben hat, zum Rücktritt zwingen und die Journalisten zur Besinnung und zur Einhaltung professioneller Standards bringen könnte. Und das obwohl die Forderung nach Kriegstüchtigkeit – wie die gesamte Russland-Ukraine-Politik der bundesdeutschen Regierungen in den letzten fünfzehn Jahren – eine eklatante Verletzung der Friedenspflicht des Grundgesetzes darstellt. So gab Angela Merkel Ende 2022 bekannt, man habe die Verhandlungen um das 2015 ratifizierte Minsker Abkommen nur geführt, um der Ukraine genug Zeit zum Aufbau einer kriegsfähigen Armee und für das Aufrüsten zu geben (6). Die Ukraine sollte in die Lage versetzt werden, die Donbass-Provinzen zurückzuerobern, die sich in Folge von Kiews ultra-nationalistischer Politik seit 2015 sezessionistisch, mit Unterstützung Russlands, für autonom erklärt hatten. Ergänzt werden muss, dass in der Ukraine nach  den gewalttätigen Ereignissen auf dem Maidan, die zum Sturz von Janukowytsch führen sollte, ein den Faschismus verherrlichender, hybrider Nationalismus politisch die Oberhand gewann, der die vor allem im Osten des Landes lebende russische Bevölkerung zunehmend diskriminierte und ihre Kultur unterdrückte.

Die bundesdeutsche Öffentlichkeit nahm die absolut skandalöse Äußerung der ehemaligen Regierungschefin achselzuckend hin. Nicht einmal ansatzweise flammte eine Debatte darüber auf, wie viel diplomatisches Porzellan durch diese Täuschung des russischen Vertragspartners zerschlagen und wie stark dadurch die außenpolitische Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik – die lange Zeit international als ehrlicher Makler des Interessenausgleichs gegolten hatte  – beschädigt wurde.

Was ist aus dem Vorschlag Michail Gorbatschows geworden, eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur von Lissabon bis Wladiwostok zu schaffen, den Präsident Putin beim Deutschland-Besuch 2001 noch einmal als sein umfassendes Angebot zur Zusammenarbeit an den Westen bekräftigt hatte? Damals sagte Putin in seiner weitgehend auf Deutsch gehaltenen Rede vor dem Bundestag:

„Ohne eine moderne, dauerhafte und standfeste internationale Sicherheitsarchitektur schaffen wir auf diesem Kontinent nie ein Vertrauensklima und ohne dieses Vertrauensklima ist kein einheitliches Großeuropa möglich. Heute sind wir verpflichtet, zu sagen, dass wir uns von unseren Stereotypen und Ambitionen trennen sollten, um die Sicherheit der Bevölkerung Europas und die der ganzen Welt zusammen zu gewährleisten. (…) 

Noch vor kurzem schien es so, als würde auf dem Kontinent bald ein richtiges gemeinsames Haus entstehen, in welchem Europäer nicht in östliche und westliche, in nördliche und südliche geteilt werden. Solche Trennungslinien bleiben aber erhalten, und zwar deswegen, weil wir uns bis jetzt noch nicht endgültig von vielen Stereotypen und ideologischen Klischees des Kalten Krieges befreit haben.

(7)

Putins Bitte, sich endgültig von den Stereotypen und Klischees des Kalten Krieges zu befreien – er erhielt für seine Rede im Bundestag damals lang anhaltenden Beifall und stehende Ovationen – sollte sich als frommer Wunsch erweisen. Die einflussreichen, entscheidenden Kräfte in den USA dachten überhaupt nicht daran, diesen Schritt zu tun. Der „nationale Egoismus“, von dem Putin im selben Zusammenhang als Hinderungsgrund für weitere Annäherungen sprach, sollte – vor allem seitens der USA, wie es aus den Strategiepapieren der mächtigen, dem Pentagon zuarbeitenden Denkfabriken der NeoCons unmissverständlich hervorgeht – auf ganzer Linie triumphieren:

Allein die Lektüre einiger amerikanischer geopolitischer Texte hätte den deutschen Politikern zeigen können, dass die Vereinigten Staaten niemals eine Annäherung Deutschlands an Russland akzeptieren würden. (…) Für die Strategen in Washington glich eine deutsch-russische Allianz einem absoluten Albtraum.“ 

(8) 

Folglich wurde die Rede nicht als historische Chance, als einzigartiges window of opportunity begriffen, die bilateralen und multilateralen Beziehungen neu zu definieren und damit ein neues Kapitel des Friedens und des Wohlstandes unter den Völkern aufzuschlagen und, wie es der russische Präsident formulierte, „damit unseren gemeinsamen Beitrag zum Aufbau des europäischen Hauses“ (9) zu leisten. 

Stattdessen setzte sich, trotz der veränderten Bedingungen einer komplizierter gewordenen, nach 1990 multipolar sich neu ordnenden Welt, wiederum das alte, hegemoniale Denken der US-Amerikaner im gesamten, offenbar nun erstarkten (10) und bis an die Grenzen Russlands ausgedehnten Westen (NATO-Osterweiterung!) durch. Damit folgte man wiederum den alten Pfaden der Konfrontation statt den neuen der Kooperation, was leider eine lange Kontinuität aufweist.

So haben neuere Forschungen im Rahmen der Geschichte der Kognitiven Kriegsführung belegt, dass die Bundesrepublik von Anfang an systematisch durch die USA militärisch-geostrategisch und mental in Stellung gegen die Sowjetunion gebracht wurde. An der Bewertung der Beziehungen Deutschlands und Russlands hat sich grundlegend auch nach 1990 und dem Ende der Blockpolarität aus Sicht der US-Amerikaner nichts geändert.


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Der Amerikanist und Propagandaforscher Jonas Tögel hat herausgearbeitet (11), in welchem Ausmaß es 1945 den USA nicht um die Befreiung des europäischen Kontinents ging. Vielmehr lautete die Doktrin, dass als der eigentliche Kriegsgegner die Sowjetunion bezwungen werden müsse: „Europa war in letzter Konsequenz genauso strategisches Gebiet wie davor (…). Es sollten offenbar die letzten deutschen Truppen (…) mit den letzten alliierten Truppen in einem neuen Aufgebot gen Osten geschickt werden“ (12). Die US-amerikanischen Regierungen sahen – über 1945 hinaus! – die Sowjetunion als den Hauptfeind an. Dabei war klar, wo der Austragungsort der Entscheidungsschlacht zwischen den Systemantagonisten liegen würde: 1955, im ersten Mitgliedsjahr der BRD, wurde eine „Carte Blanche“ genannte NATO-Übung durchgeführt, in der es ein Szenario von 168 Atombombenabwürfen über deutsches Gebiet mit 1,7 Millionen getöteten und 3,5 Millionen verletzten Deutschen entworfen gab. Weitere Planspiele, die die atomare Zerstörung Deutschlands vorsahen, folgten. Etwas größere Bekanntheit erlangte, durch den damaligen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU), die NATO-Übung WINTEX/FALLEX (13) von 1986, in der Atombombeneinsätze gegen Dresden und andere deutsche Städte vorgesehen waren.

„Er, Wimmer, sei von dieser Anforderung völlig überrascht worden und sei entsetzt gewesen. Er habe es abgelehnt, an der Planung eines Atomwaffeneinsatzes auf Ziele in Ostdeutschland und damit gegen die ostdeutsche Bevölkerung – wenn auch „nur“ übungsweise – mitzuwirken. In dieser Situation habe er sofort Kontakt mit dem damaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (CDU) aufgenommen und ihn von diesem für ihn unerhörten Vorgang in Kenntnis gesetzt. Bundeskanzler Kohl habe daraufhin entschieden, dass sich die Vertreter der Bundesregierung sofort aus der weiteren Übung zurückziehen und sich keinesfalls an diesen nuklearen Planspielen gegen Ziele wie Dresden und andere ostdeutsche Städte beteiligen sollten. Deutschland habe, so Wimmer, deshalb seine weitere Mitwirkung an dieser NATO-Übung – vier Tage vor ihrem Ende – eingestellt. Die Übung sei dann – ohne deutsche Beteiligung – fortgesetzt worden.“  (14)

Der Schweizer Militär- und Geheimdienstexperte Jacques Baud geht soweit zu behaupten, dass die NATO „für den Kalten Krieg und für den Nuklearkrieg geschaffen wurde.“ (15) Zu einem Zeitpunkt, wo der erst im zweiten Wahlgang gewählte neue deutsche Bundeskanzler noch immer nicht öffentlich seine Erklärung zurückgenommen hat,  Taurus-Raketen an die Ukraine liefern zu wollen, sollte dies unbedingt in Erinnerung gerufen werden. 

Darüber hinaus gilt, was alle Kriegsspiele, sowohl die Kriegsspiele der NATO als auch jene der Sowjetunion bzw. später Russlands dokumentieren:

Die Deutschen haben nicht mitzureden, wenn es um die Vernichtung ihres eigenen Landes geht.“ (Jonas Tögel, 16).

Kann es da verwundern, dass spiegelbildlich dazu der von der NATO losgetretene Informationskrieg gerade in Deutschland immer bizarrere Blüten treibt?

Denn hier liegt das Schlachtfeld des Propagandakrieges, der jedem Waffengang erst einmal vorausgeht und gewonnen sein will. Das meint auch die Rede von der zu erlangenden Kriegstüchtigkeit. Sie dient als Propaganda zur Formierung der Gesellschaft gegen „den“ Feind, wobei der Feind grundsätzlich austauschbar ist (es kann auch ein „gefährliches“ Virus sein…), immer aber gewisse Eigenschaften aufweisen muss. So sollte er leicht adaptierbar an die Ängste oder Aggressionen der Menschen sein. Dies impliziert auch, dass die aktuelle Einschätzung von 16 amerikanischen Geheimdiensten, nach denen Russland keinen Krieg gegen die europäischen NATO-Staaten beabsichtige und plane, in der öffentlichen Debatte hierzulande keine Rolle spielt und der Bevölkerung vorenthalten wird (17). 

Kontrafaktisch wird mit Hilfe der immer gleichen Protagonisten des militärisch-industriellen, und – wie hinzugefügt werden muss – propagandistisch-medialen Komplexes am Bedrohungsszenario festgehalten. Wer es nicht glaubt, der möge bei Google im Suchfenster: „16 amerikanische Geheimdienste Russland keine Bedrohung“ oder etwas Sinngleiches eingeben und schauen, ob er auf den ersten Seiten irgendwelche „Treffer“ landet. Ich wünsche viel Spaß dabei!

Teil 2 folgt demnächst.


Bernd Schoepe, Jahrgang 1965,  Studium der Soziologie, Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaften in Frankfurt/M. und Hamburg. Erstes und zweites Staatsexamen. Freier Autor, der zu bildungspolitischen, bildungssoziologischen- und bildungsphilosophischen Themen schreibt. Seit 2003 im Hamburger Schuldienst. Langjähriges GEW-Betriebsgruppen-Mitglied, ehem. Vertrauensmann, ehem. Mitglied der Hamburger Lehrerkammer. Hauptberuflich bin ich Politik- Deutsch- und Philosophielehrer an einer Hamburger Stadtteilschule. Kontakt: berndschoepe\@gmx.de


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