Wie kommt das Neue in die Welt?

Dieser Text pulsiert im Herzen der Spekulation: Nicht Materie gebiert Bewusstsein, sondern Bewusstsein webt die Welt und nur durch mutiges Wagnis – jenseits harter Fakten – entsteht das Neue, das uns befreit.

Nach meinem letzten Text über Resonanz, Kohärenz und Emergenz blieb eine Frage in mir hängen: Woher kommt eigentlich diese Fähigkeit zur Resonanz? Die Frage ist inspiriert von einem Kommentar zu meinem Text.

Resonanz setzt also etwas voraus; ein System, das schwingen kann. Dieses System verstehe ich als Bewusstsein. Unser Bewusstsein. Und Bewusstsein ist vielleicht das größte Rätsel überhaupt. Dieser Text ist daher ein erster Versuch mich diesem Rätsel zu nähern und es unter der Frage zu bewegen, wie “das Neue” in die Welt kommen kann. Denn Fakten sammeln reicht nicht. Es braucht andere Denkweisen, neue Bilder, frische Begriffe, Impulse.

Vom Teilchen zum Wellen-Bewusstsein

Wenn ich über Bewusstsein nachdenke, dann gerne mit Hilfe der quantenmechanischen Gesetze aus der Physik. Nicht weil ich behaupten will, dass Bewusstsein quantenphysikalisch “funktioniert” – diese Frage ist offen, umstritten und wahrscheinlich in dieser Form falsch gestellt. Sondern weil die Quantenphysik mir zeigt, wie radikal anders Realität sein kann, als unser Alltagsverstand sie denkt. Ich mag diese andere Art zu denken – vom Teilchen zur Welle, von der Isolation zur Beziehung – denn sie könnte uns helfen, Mensch-sein, Bewusstsein und Resonanz besser zu verstehen. Dieser Text wird spekulativer als der letzte. Und wir bewegen uns hart an der Grenze des wissenschaftlich Gesicherten.

Das Teilchen-Weltbild und sein Zerfall

Beginnen wir von vorne. Über zweihundert Jahre lang schien die Welt “verstanden” – Newton hatte gezeigt, dass das Universum wie ein gigantisches Uhrwerk funktioniert. Materie besteht aus Teilchen (Atome) mit festen Eigenschaften: Position, Geschwindigkeit, Masse. Diese Teilchen folgen deterministischen Gesetzen, allen voran der Schwerkraft. Die Logik ist bestechend: Kenne ich alle Anfangsbedingungen, kann ich die Zukunft berechnen. Und tatsächlich funktionieren unter dieser Prämisse Vorhersagen bis heute. Unter Newtons Theorie ist oder war die Welt berechenbar. Der Beobachter steht außerhalb, neutral, ohne Einfluss auf das Beobachtete. Wie Billardkugeln auf einem Tisch; klar abgegrenzt, eindeutig positioniert, ihre Bahnen vorhersagbar.

Diese mechanistische Weltsicht prägt uns bis heute in den verschiedensten Lebensbereichen. Auch wenn wir es nicht explizit aussprechen, denken in Teilchen: Wir suchen nach isolierbaren Ursachen, nach eindeutigen Antworten, nach objektiven Fakten, die “da draußen” existieren, unabhängig von uns. Wir wollen messen, quantifizieren, kontrollieren, extrapolieren.

Das ging eine ganze Weile gut. Dann, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, begann das Teilchen-Weltbild leise zu zerfallen. Die Quantenphysik entdeckte etwas zutiefst Verstörendes, denn auf der fundamentalen Ebene der Realität verhalten sich Dinge eben nicht wie Billardkugeln. Nichts ist vorhersagbar, alles scheint möglich.

Das berühmteste Experiment, das diese fundamentale Ebene sichtbar macht, ist der Doppelspalt-Versuch. Stell dir vor, du schießt einzelne Elektronen durch zwei schmale Spalte auf eine Wand dahinter. Was würdest du erwarten? Wenn Elektronen Teilchen wären – kleine feste Kugeln – würdest du zwei Streifen auf der Wand erwarten, jeweils hinter den Spalten. Aber das passiert nicht. Stattdessen entsteht ein Interferenzmuster – mehrere helle und dunkle Streifen, wie sie entstehen, wenn Wellen aufeinandertreffen und sich gegenseitig verstärken oder auslöschen.

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Das Elektron verhält sich nicht wie ein Teilchen, sondern wie eine Welle, die durch beide Spalte gleichzeitig geht und mit sich selbst interferiert. Sobald du aber misst, durch welchen Spalt das Elektron tatsächlich fliegt, sobald du “hinschaust”, verschwindet das Wellenmuster. Das Elektron “kollabiert” zu einem Teilchen und geht nur durch einen Spalt. Der Akt der Beobachtung verändert das Ergebnis. Werner Heisenberg, einer der Begründer der Quantenmechanik, formulierte es so: “Was wir beobachten, ist nicht die Natur selbst, sondern die Natur, die unserer Art der Fragestellung ausgesetzt ist.”

Die Realität IST nicht einfach – sie WIRD durch Interaktion, durch Beziehung. Das Elektron ist nicht Welle ODER Teilchen, sondern beides, je nachdem, wie wir es betrachten. Diese Komplementarität ist nicht nur eine Grenze unseres Wissens, sondern eine fundamentale Eigenschaft von Realität. Wir beide könnten also dasselbe Experiment durchführen und zu völlig anderen Ergebnissen kommen.

Hier möchte ich einen gewagten Gedanken einwerfen: Die sogenannte Reproduktionskrise der Wissenschaft – dass 40% bis 70% aller Studien nicht reproduzierbar sind – wird meist auf methodische Mängel zurückgeführt. Schlechtes Studiendesign, p-Hacking, Publication Bias. Alles richtig. Aber was, wenn die Quantenmechanik uns noch etwas anderes zeigt? Wenn schon auf subatomarer Ebene der Beobachter das Beobachtete beeinflusst, warum sollte das bei komplexeren Systemen – biologischen Prozessen, Menschen, Gesellschaften – anders sein? Vielleicht ist ein Teil der “Krise” gar keine Krise, sondern die Entdeckung, dass Realität grundsätzlich beziehungshafter und kontextabhängiger ist, als unser mechanistisches Weltbild wahrhaben will. Zwei Forschende könnten tatsächlich zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, nicht trotz, sondern wegen der fundamentalen Natur von Realität.

Was die Quantenphysik uns zeigt

Aus der Quantenphysik lernen wir mehrere Prinzipien, die ich nur kurz zusammenfassen möchte:

  • Superposition: Ein Quantensystem existiert in mehreren Zuständen gleichzeitig – bis wir es messen. Schrödingers berühmte Katze ist gleichzeitig tot und lebendig, solange die Box geschlossen bleibt. Erst die Beobachtung “kollabiert” diese Überlagerung in einen bestimmten Zustand: Die Katze ist tot oder lebendig, sobald wir hinschauen.
  • Verschränkung: Zwei Teilchen können so miteinander verbunden sein, dass die Messung an einem sofort den Zustand des anderen bestimmt – selbst über große Distanzen. Einstein nannte das “spukhafte Fernwirkung”, weil es seiner deterministischen Weltsicht widersprach. Aber Experimente bestätigen es immer wieder.
  • Unschärfe: Man kann nicht gleichzeitig Position und Impuls eines Teilchens exakt messen. Das ist keine technische Grenze, sondern prinzipiell. Die Natur selbst ist “unscharf”.
  • Beobachter-Effekt: Die Messung ist nicht neutral. Sie greift ein, verändert, “kollabiert” Möglichkeiten (Superposition) in Wirklichkeit.

Das newtonsche Weltbild von klaren Teilchen mit festen Eigenschaften und neutraler Beobachtung ist auf fundamentaler Ebene nicht haltbar. Die Welt besteht nicht aus isolierten Dingen, sondern aus Beziehungen, die Dinge konstituieren.

Bewusstsein

Wenn die Quantenphysik uns zeigt, dass Materie sich radikal anders verhält als gedacht – was bedeutet das für Bewusstsein? Für das subjektive Erleben, das du gerade in diesem Moment hast, während du diese Worte liest?

Unser Körper ist Materie. Und doch sind wir nicht einfach biologische Roboter, die Informationen verarbeiten, ohne dass “jemand” da ist, der das alles miterlebt. Warum gibt es diese innere Perspektive, dieses Gefühl von “Ich”, dieses qualitative Erleben von Schmerz oder Freude? Woher kommt das Gefühl eines “Ichs”?

Der Mathematiker und Physiker Roger Penrose entwickelte gemeinsam mit dem Anästhesisten Stuart Hameroff eine radikale These. Bewusstsein könnte auf Quantenprozessen im Gehirn beruhen. Ich möchte hier das “könnte” betonen und gleichzeitig einladen anzunehmen, dass wahrscheinlich verschiedene Phänomene zusammenspielen und Bewusstsein ermöglichen. Ihre “Orch OR”-Theorie (Orchestrierte Objektive Reduktion) besagt: In den Mikrotubuli – winzigen Strukturen im Inneren von Neuronen – könnten Quanteneffekte auftreten. Quantenzustände befinden sich in Superposition, bis sie “orchestriert” kollabieren. Und dieser Kollaps, so die These, ist Bewusstsein.

Penrose argumentiert: Bewusstsein kann nicht nur “Berechnung” sein, weil wir Dinge verstehen, die algorithmisch nicht beweisbar sind. Bewusstsein muss etwas Nicht-Berechenbares beinhalten – und das könnte der quantenphysikalische Kollaps sein.

Lass mich das genauer erklären: Gödels Unvollständigkeitssatz zeigt, dass in jedem hinreichend komplexen formalen System wahre Aussagen existieren, die innerhalb des Systems aber nicht beweisbar sind. Ein Computer, der strikt nach Algorithmen arbeitet, ist an diese Grenze gebunden. Doch wir Menschen können oft “sehen”, dass eine Gödel-Aussage wahr ist, auch wenn sie formal unbeweisbar bleibt. Penrose folgert daraus: Wenn wir mathematische Wahrheiten erkennen können, die kein Algorithmus beweisen kann, dann muss unser Bewusstsein mehr sein als ein “Computer” (das wäre die newtonsche Sicht). Es muss einen nicht-algorithmischen Aspekt haben. Und wo in der Physik finden wir etwas fundamental Nicht-Berechenbares? Im quantenmechanischen Kollaps – dem Moment, wo aus Möglichkeiten Wirklichkeit wird. Die Mikrotubuli in unseren Neuronen könnten, so die These, genau der Ort sein, wo dieser Übergang stattfindet. Wo das Quantenhafte ins Klassische kollabiert und dabei – vielleicht – Bewusstsein erzeugt.

Das ist interessant weil es den Beobachter-Effekt und subjektives Erleben verbindet: Es würde die Beobachter-Rolle des Bewusstseins in der Quantenphysik direkt verankern. Und die Quantenverschränkung könnte Resonanz zwischen verschiedenen Bewusstseinen erklären.

Wie zu erwarten ist die Theorie ist höchst umstritten und schwer beweisbar. Die Kritiken sind berechtigt. Aber selbst wenn Bewusstsein NICHT quantenphysikalisch ist, können wir von der Quantenphysik LERNEN, wie wir über Bewusstsein und Wissen denken sollten.

Die Kritik: Zu warm, zu nass, zu schnell

Der Physiker Max Tegmark berechnete, dass Quanteneffekte im warmen, nassen Gehirn innerhalb von 10^-13 Sekunden “dekohärieren” würden – das heißt, ihre Quanteneigenschaften verlieren. Neuronale Prozesse laufen aber im Millisekunden-Bereich. Viel zu langsam. Biologisch ist es schwer vorstellbar, wie Mikrotubuli Quantenkohärenz aufrechterhalten könnten, wenn selbst speziell gekühlte Quantencomputer dafür extreme Bedingungen brauchen. Die meisten Neurowissenschaftler lehnen die Penrose-Hameroff-Hypothese ab. Bewusstsein, so der Konsens, ist wahrscheinlich “nur” ein klassisch-physikalisches Phänomen – wenn auch extrem komplex.

Ist die Quantenbewusstseins-Hypothese also falsch? Wahrscheinlich ja, zumindest in dieser Form. Aber selbst wenn: Sie zeigt uns etwas Wichtiges. Sie zeigt, dass es ernsthafte Denker gibt, die das materialistische Paradigma fundamental infrage stellen. Und sie eröffnet einen Denkraum: Was wäre, wenn Bewusstsein nicht aus Materie emergiert, sondern auf einer fundamentaleren Ebene verankert ist?

Bewusstsein als Fundamental – Die radikalen Alternativen

Während Penrose versucht, Bewusstsein innerhalb der Materie zu verorten, gehen andere noch weiter: Was, wenn wir die Frage umdrehen?

Federico Faggin erfand 1971 den ersten kommerziellen Mikroprozessor (Intel 4004). Er versteht Computer auf fundamentaler Ebene. Und gerade deshalb sagt er: Bewusstsein kann nicht berechnet werden.

Faggins These: Bewusstsein ist nicht in unseren Körpern, sondern existiert in einem bewussten Quantenfeld. Der Körper ist wie ein Instrument, das gespielt wird. Die Töne, die entstehen – sensorische Daten, neuronale Aktivität – sind der Ausdruck des Musikers (Bewusstsein). Aber der Musiker ist nicht das Instrument. Es kehrt die übliche Annahme um. Nicht Materie erzeugt Bewusstsein, sondern Bewusstsein manifestiert sich durch Materie.

Faggin unterscheidet zwischen zwei Arten von Information: Klassische Information ist reproduzierbar, kopierbar – wie ein PDF, das du mir schickst. Computer verarbeiten klassische Information. Quanteninformation hingegen ist einzigartig, nicht-klonbar (No-Cloning-Theorem). Sie repräsentiert innere Erfahrung, subjektives Erleben. Mathematik, so Faggin, wird von Bewusstsein geschaffen, nicht umgekehrt. Deshalb kann man Bewusstsein nicht durch Gleichungen vollständig erklären. Die Karte ist eben nicht das Territorium.

Ein weiteres Kernkonzept von Faggin ist der holographische Körper: Jede Zelle enthält die Information des gesamten Organismus (Epigenetik). Aus einer Stammzelle kann ein ganzer Mensch entstehen. Information ist nicht hierarchisch gespeichert wie in einem Computer, sondern verteilt, zugänglich von jedem Punkt aus.

Und schließlich interpretiert Faggin den Kollaps der Wellenfunktion radikal neu: Wenn ein Quantensystem von der Superposition in einen bestimmten Zustand kollabiert, ist das für die meisten Physiker reiner Zufall. Für Faggin ist es Ausdruck bewusster Entscheidung. Das Bewusstsein wählt aus den Möglichkeiten.

Was bedeutet das für Resonanz? Sie wäre dann nicht nur passives “Mitschwingen”, sondern aktive Wahl. Wenn etwas in dir resoniert, ist das vielleicht dein Bewusstsein, das aus dem Quantenfeld der Möglichkeiten genau diese Verbindung wählt. Du erkennst nicht nur – du entscheidest dich, zu erkennen.

Wellen im Ozean

Denken wir Faggin weiter, landen wir beim Philosophen Bernardo Kastrup (Ph.D. in Philosophie, Hintergrund in KI und Informatik), der den Analytischen Idealismus vertritt: Das Universum selbst ist Bewusstsein. Wir sind keine isolierten Bewusstseine, die irgendwie aus Materie entstehen, sondern temporäre Perspektiven innerhalb eines größeren, universellen Bewusstseins.

Seine Metapher: Wir sind wie Wellen im Ozean. Von außen betrachtet scheinen wir getrennt – diese Welle hier, jene Welle dort. Aber fundamental sind wir alle Wasser. Die Trennung ist real als Perspektive, aber nicht als Substanz. Materie, so Kastrup, ist nicht das Fundament der Realität, sondern deren Erscheinung. Was die Naturwissenschaft misst, ist nicht “die Wirklichkeit an sich”, sondern wie mentale Prozesse von außen aussehen. Dein Gehirn-Scan ist wie das EKG eines Gedankens – zeigt Korrelation, nicht Identität.

Kastrup entwickelt eine Dissoziierte-Alter-Theorie. Das universelle Bewusstsein “dissoziiert” sich in einzelne Perspektiven – ähnlich wie bei einer dissoziativen Identitätsstörung, wo ein Bewusstsein mehrere scheinbar getrennte Identitäten bildet. Wir erleben uns als getrennt, aber das ist eine temporäre Konfiguration. Das ist nicht Solipsismus – auch wenn man auf den ersten Blick so schließen könnte. Kastrup behauptet nicht, dass nur mein Bewusstsein existiert. Er behauptet, dass ein universelles Bewusstsein existiert, das sich in viele Perspektiven aufteilt. Die äußere Welt ist objektiv real – nicht als Materie, sondern als geteilte mentale Realität.

Resonanz, in diesem Modell, wäre das kurze Wiedererkennen der fundamentalen Verbundenheit. Wenn ein Gedanke bei dir “ankommt” – oder du ihn ankommen lässt – spürst du die – unsere gemeinsame Quelle.

Eine (ehrliche) Einordnung

Sowohl Faggins als auch Kastrups Ansätze sind in der akademischen Mainstream-Philosophie und -Physik umstritten bis abgelehnt. Materialisten werfen ihnen vor, das “Hard Problem” nicht zu lösen, sondern nur umzubenennen. “Bewusstsein ist fundamental” ist keine Erklärung, sondern eine Setzung. Ich behaupte nicht, dass sie recht haben. Ich weiß es nicht. Doch was ich an Faggin und Kastrup mag, sind die kohärenten, philosophisch durchdachten Alternativen zum materialistischen Paradigma. Und selbst wenn sie empirisch nicht beweisbar sind – sie erweitern, wie wir über Realität, Beziehung und Resonanz denken können.

Was wäre, wenn Resonanz nicht nur eine schöne Metapher ist, sondern das Spüren einer tieferen Verbindung? Was wäre, wenn die Trennung zwischen “mir” und “dir” (und dem Universum) weniger fundamental ist, als wir annehmen? Hier öffnet sich die Tür zum Nondualismus, den ich mir ein andermal vornehme. Bleiben wir für dieses Mal in der Physik.

Die Quantenphysik sagt: Zwei Teilchen bleiben verbunden, verändern sich korreliert, auch über Distanz – das Verschränkungsprinzip. Wenn einer meiner Gedanken bei dir resoniert, verändert das nicht nur dich – es verändert auch mich, der ich ihn artikuliert habe. Wir sind für einen Moment “verschränkt”, verbunden in einem geteilten Gedanken.

Die Kritik

So, und spätestens an dieser Stelle werfen vermutlich 99% der Physiker ihr Tablet aus dem Fenster. Jeder Text, der Quantenphysik und Bewusstsein in einem Satz nennt, macht sich doch verdächtig. Und ja, an dem Text gibt es einige Kirtikpunkte:

“Du missbrauchst die Quantenphysik!”

Ja, wenn alles “Quanten” ist, ist nichts mehr Quanten. Die Quantenphysik beschreibt subatomare Prozesse, nicht Bewusstsein. Der Sprung von Elektronen zu Gedanken ist gewaltig und wissenschaftlich nicht gerechtfertigt. Ich nutze die Quantenphysik hier als Denkmodell, nicht als Erklärung. Das ist ein wichtiger Unterschied, den ich vielleicht noch deutlicher machen sollte?

“Die Reproduktionskrise hat nichts mit Quanteneffekten zu tun!”

Stimmt größtenteils. P-Hacking, schlechte Statistik, Publikationsdruck sind die Hauptschuldigen. Mein Gedanke ist spekulativer: Was, wenn unsere Messinstrumente selbst - inklusive uns als Beobachter - Teil des Problems sind? Das ist keine Entschuldigung für schlechte Wissenschaft, sondern eine zusätzliche Ebene der Komplexität.

“Du präsentierst Randmeinungen als Mainstream!”

Guilty as charged. Penrose, Faggin und Kastrup sind Außenseiter. 99% der Neurowissenschaftler winken ab, wenn du mit Quantenbewusstsein kommst. Und sie haben gute Gründe: Tegmarks Dekohärenz-Rechnung ist solide. Das Gehirn ist zu warm, zu nass, zu laut für Quanteneffekte. Ich präsentiere diese Theorien hier nicht als “die Wahrheit”, sondern als Denkanstöße.

“Wellen im Ozean - das ist Kühlschrankmagnet-Philosophie!”

Metaphern sind keine Argumente. “Alles ist verbunden” sagt erstmal gar nichts. Die Gefahr von schöner Sprache ist, dass sie Präzision vortäuscht, wo Vagheit herrscht. Andererseits: Manchmal brauchen wir neue Bilder, um aus alten Denkmustern auszubrechen. Die Kunst ist, nicht in den Bildern hängen zu bleiben.

“Du kämpfst gegen Strohmänner!”

Auch wahr. Das mechanistische Weltbild ist längst überwunden. Systembiologie, Komplexitätstheorie, Netzwerkforschung - all das existiert. Vielleicht kämpfe ich weniger gegen die Wissenschaft als gegen ein populäres Missverständnis von Wissenschaft. Gegen die Idee, dass mehr Daten automatisch mehr Verstehen bedeuten.

Am Ende bleibt die Frage: Ist dieser Text wissenschaftlich?
Nein, nicht im strengen Sinne. Er ist philosophisch, spekulativ, manchmal sogar poetisch. Er lädt zum Denken ein, nicht zum Glauben. Und vielleicht ist genau das sein Wert: Nicht die Antworten, die er gibt, sondern die Fragen, die er aufwirft. Nicht die Theorien, die er zu beweisen versucht, sondern die Gewissheiten, die er erschüttert.

Hegel schrieb, Geschichte sei der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit. Vielleicht ist jeder Versuch, Bewusstsein neu zu denken – und sei er noch so spekulativ – ein kleiner Schritt in diese Richtung. Ein Ringen um geistige Freiheit, um neue Denkmöglichkeiten jenseits des Gegebenen. Ein Fuss in der Tür, die das Neue nutzen kann.

Die Geschichte der Wissenschaft zeigt, dass die größten Durchbrüche oft von denen kamen, die dumme Fragen stellten. Auch wenn 99% dieser Fragen sich als wirklich dumm herausstellten. Dieser Text gehört wahrscheinlich zu den 99%. Aber ohne das Wagnis, eine Dummheit zu riskieren, gäbe es niemals das 1%, das uns weiterbringt. Das Scheitern ist der Preis des Fortschritts.