Privatbesitz öffentlicher Dinge diene zu deren Erhalt. Der Beitrag prüft die Plausibilität dieser Behauptung und zeigt Optionen auf, welche bei Überwindung dieses Mythos möglich werden, etwa im Rahmen regionaler Ökonomie auf der Basis gemeinschaftlichen Eigentums.
Privateigentum ist in unserer Gesellschaft eine heilige Kuh. Zu Recht, denn wer möchte schon gern seine Zahnbürste mit dem Nachbarn von nebenan teilen? Dennoch kann man sich fragen: Inwieweit dient es einer einzelnen Person und auch der Gesellschaft als Ganzem, wenn das Recht auf Privateigentum beliebig weit ausgedehnt wird?
Die Welt, die wir wollen, soll fair sein. Wenn zum Beispiel eine Person Ackerland erwirbt, das größer als 2000 Quadratmeter ist, so kann das global nur funktionieren, wenn woanders eine Person auf den ihr zustehenden Anteil verzichtet - der bei gerechter Aufteilung zur Zeit etwa 0.2 Hektar oder 2.000 Quadratmeter pro Person beträgt. Wenn jemand 10 Hektar Ackerland besitzt, geht die Rechnung global nur auf, wenn 49 andere Personen komplett auf ihren Anteil verzichten. Und tatsächlich befindet sich das Eigentum an Immobilien und Landfläche in vielen Ländern in den Händen einer Minderheit von Menschen. Zum Beispiel besitzen in Österreich 10% der Bevölkerung knapp 70% der Immobilienflächen (Felber, 2012). Die meisten neugeborenen Menschen (bis auf die wenigen, deren Eltern Land besitzen), haben in unserer Welt keinen Landeplatz.
Wer hat eigentlich das Grundbuch erfunden? Im wilden Westen kamen Scharen von armen Schluckern und Glückssuchern aus Europa angereist, um sich einen „Claim“ abzustecken. Also ein Stück Land, auf dem sie dann nach Gold graben konnten. Was ich mich als Junge beim Lesen von Wild-West Romanen schon gefragt hatte: Wer hat die Rechte für Besitz und Nutzung dieses Landes vergeben? Die Indianer, die das Land vorher bewohnt hatten, waren es nicht. Wohl eher ein paar gewitzte schriftkundige Europäer. Die hatten gemerkt, dass sich mit der Verteilung von Land, das gerade niemandem so richtig „gehörte“, einfacher Geld verdienen ließ als durch ehrliche Arbeit mit Hacke und Schaufel.
Bei Gelegenheiten dieser Art ist die Idee mit dem Grundbuch entstanden. Bereits aus der Antike sind Aufzeichnungen über Rechte an Grund und Boden bekannt. Nach Max Webers (2009) und Carl Amerys (1990) Recherchen haben dann in Europa während des Mittelalters die Mönche die Buchführung und Verwaltung eingeführt, insbesondere Zisterzienser und Benediktiner. Damit konnte dann neben einer ordentlichen Registrierung der Eigentumsverhältnisse auch das Eintreiben von Pacht, eine weitere Erfindung im Zusammenhang mit der Privatisierung von Ländereien, ordentlich in Gang kommen.
Vor einigen Jahren konnte ich einer UNO Konferenz beiwohnen, auf der sich Vertreter indigener Völker trafen, Nachfahren von Indianern und anderen „Ureinwohnern“, wie sie in Industrieländern genannt werden. Ich durfte erfahren, wie heutzutage das „Landwegnehmen“ in sogenannten „zivilisierten Ländern“ funktioniert: Will eine Gruppe von Industriellen oder Finanzmanagern ein Projekt für die Ankurbelung des Wirtschaftswachstums wie einen Staudamm in Gang bringen - und leben dummerweise in dem zu flutenden Gebiet Gruppen von indigenen Menschen, was passiert dann? Man hält ihnen ein Grundbuch unter die Nase, in dem der Erwerb des Landes, von wem auch immer, bestätigt worden ist und zwingt sie zur Umsiedelung. Wenn die Menschen die Schrift nicht verstehen, ist das ihr Problem.
Ich habe mich auf dieser Konferenz als „Weißer“ nicht besonders wohl gefühlt. Ich habe eine kleine Ansprache gehalten, die Sie auf meiner Webseite ansehen können, und mich dann verschämt zurückgezogen. Dort habe ich den Beschluss gefasst, diese Dinge in unseren „zivilisierten“ Ländern zur Sprache zu bringen.
Mittlerweile gibt es kaum noch fruchtbares Land auf unserem Planeten, das nicht an Privatpersonen „vergeben“ ist oder Ländern und Staaten gehört. Aber auch das hat der Räuberei, wenn wir die Anhäufung von Besitz aller Art durch eine kleine Minderheit von Personen so nennen wollen, kein Ende bereitet. Sie erinnern sich, es gibt da Kapital, das sich durch die Zinsmaschine kontinuierlich und auch noch mit exponentiellen Zuwachsraten vermehrt. Dessen Besitzer sind in den letzten Jahren auf die Idee gekommen, Land von kleineren Landeigentümern in großem Stil aufzukaufen. „Land-Grabbing“ nennt man das in der Fachsprache. Zwischen 2005 und 2015 sind geschätzte 83 Millionen Hektar, etwa die Fläche von Mitteleuropa, in die Hände international agierender Finanz- und Wirtschaftsgruppen gekommen. Wem wurde das Land abgekauft? Zum Beispiel thailändischen Bauern, die heute infolgedessen zu 80% ohne eigenes Land leben müssen (Mayer-Tasch, 2011). Halten Sie die Vereinbarungen und Gesetze, die all diese Entwicklungen möglich machen, für fair?
Wechseln wir von Fairnessbetrachtungen nun zur Frage, ob das Privateigentum an ursprünglich öffentlichen Gütern vielleicht für die Gesellschaft als Ganzes einen Vorteil bringt. Gern wird hierzu folgendes Argument gebracht: Wenn allen Menschen alles gleichermaßen gehört, es also „Volkseigentum“ an Land und Lebensraum gibt, dann fühle sich keiner richtig verantwortlich. Das Land verlottere, wie es z.B. in den Ländern des Ostblockes zwischen 1945 und 1990 geschehen war. Menschen, die in der Zeit in den Ländern gelebt oder sie mal besucht haben, werden hier vielleicht nicken. Als Bewohner eines dieser Länder scheint mir das Argument nicht stimmig zu sein.
Die Bevölkerung in den Ostblockländern besaß weder über das Land noch die Produktionsstätten Verfügungsgewalt. Das konnte man bei Auflösung dieser Staaten unschwer erkennen. Kein Staatsbürger der früheren DDR hat im Jahr 1990 einen Anteil seines „Volkseigentums“ zurückbekommen - weil dieser „Besitz“ eine Fiktion war. Wer das Land wirklich besitzt, erkennt man letztlich daran, wer über das Land verfügt, und das waren nicht die Völker dieser Länder, sondern deren politische Diktatoren. Die Behauptung eines „Volkseigentums“ seitens der Obrigkeit scheint mir eine glatte Lüge zu sein.
Folgt man diesen Gedanken, kann man nach diesem Beispiel nicht einfach sagen, Allgemeineigentum an öffentlichen Gütern sei erwiesenermaßen schlecht für alle. Doch fragen wir einmal direkt: Dient der ausdrückliche Privatbesitz öffentlicher Güter wie Landfläche deren Erhalt? Hier lassen sich zwei Fälle unterscheiden: (1) Wo der Besitzer selbst direkter Nutznießer des Landes ist, etwa ein Schlossherr, der vom Schloss auf seinen Park schaut und (2) wo der Besitzer nur indirekt Nutzen aus dem Land zieht, aber nicht zu Erholungszwecken darauf spazieren geht. Für den ersten Fall glaube ich schon, dass sich Schlossbesitzer in aller Regel große Mühe geben, ihre Schlossparks gut in Schuss zu halten.
Im zweiten Fall bin ich nicht so überzeugt, dass sich die Landbesitzer allgemein große Mühe geben, das Land gut zu bewirtschaften und künftigen Generationen in gutem Zustand zu übergeben. In diesem Fall dient das Land einzelnen Personen oder Gruppen von Personen ja lediglich als Einkommensquelle.
Mir sind große Felder auf privatem Land bekannt, die sich auf trockengelegten Moorflächen befinden. Betreibt man auf diesen Flächen Landwirtschaft, kann man hervorragende Erträge erzielen, weil der Boden außergewöhnlich fruchtbar ist. Nur nimmt die Fruchtbarkeit des Boden von Jahr zu Jahr ab, was man im Fall von früheren Moorböden sogar mit bloßem Auge am Gelände um die Feldflächen beobachten kann: Die Fahrwege um die Feldflächen ragen – in manchen Fällen mehrere Meter - über die Felder hinaus. Allerdings wurden nicht etwa die Wege aufgeschüttet, sondern die Feldflächen haben sich mit dem Humusverlust abgesenkt. Privatbesitz an Land scheint nicht zwingend zu einem sorgsamen Umgang mit diesem zu führen.
Landwirte, die solche Flächen bewirtschaften, sind nicht unbedingt profitgierige Geldhaie. Es können umgängliche, sympathische, sehr sozial veranlagte und ökologisch sensibilisierte Zeitgenossen sein, wie ich aus eigenen Begegnungen mit solchen Personen weiß. Das bestärkt mich in dem Eindruck, dass es nicht „Strickfehler“ in der menschlichen Natur sind, die Fehlentwicklungen unserer Zeit hervorrufen, sondern nicht zielführende Annahmen in unserer Gesellschaft, die wir nicht mehr hinterfragen. Das ökonomische System, in dem diese Landwirte leben, auf Wachstum und Zinsvermehrung ausgerichtet, zwingt sie offenkundig, ihre Felder ohne Rücksicht auf deren Veränderung auszunutzen.
Ob der Besitz an Boden in der vergangenen Zeit dem Erhalt der Bodenfruchtbarkeit gedient hat, lässt sich mit einer einfachen Frage klären: Nimmt der Humus- bzw. Kohlenstoffgehalt von landwirtschaftlichen Nutzflächen zu oder ab? Hierzu liegen Schätzungen vor, die für den Zeitraum von 1850 bis 1998 von weltweit ca. 78 Gigatonnen Verlusten an Kohlenstoff in Ackerböden ausgehen (Lal, 2004).
Privatbesitz an Ackerland scheint langfristig nicht zu sonderlich sorgsamem Umgang mit dem Boden beizutragen. Möglicherweise war das ein Grund, dass in der jüdischen Religion eine Rückgabe allen Bodenbesitzes an die Gemeinschaft - nach jeweils 49 Jahren - gefordert wird? Würde gemeinschaftlicher Besitz an Boden und anderen öffentlichen Gütern zu einer allgemeinen Verbesserung bei dieser Problematik führen? Werden in einer Kultur, in der viele Menschen sich gemeinsam in der Verantwortung für ihr Land sehen, weniger Fehler und Dummheiten begangen als in einer Kultur, in der Privatbesitz, Wirtschaftswachstum und Zinssysteme den Rahmen für menschliches Handeln abstecken? Was meinen Sie?
In Norwegen, um ein kleines Beispiel zu nennen, dürfen alle Menschen überall im Lande ein Zelt aufschlagen und übernachten, das ist das „Allemannsretten“ oder „Jedermannsrecht“. Fahren Sie einmal nach Norwegen und schauen Sie sich an, ob das zu einer allgemeinen Vermüllung der Landschaft geführt hat. Mein Eindruck war gegenteilig.
Wenn Sie nach diesen Überlegungen privaten Besitz von öffentlichen Gütern wie Land als zieldienliche Annahme für die Welt von morgen in Frage stellen, sei es aus Fairness-Erwägungen oder anderen Gründen: Was können wir heute tun, um andere Annahmen zu prüfen und auszuprobieren?
Schauen Sie sich Kommunen an, in denen Menschen Land zusammenlegen und gemeinsam bewirtschaften, Nachbarschaftsgärten, internationale Gärten. Informieren Sie sich, wo das Recht der „Allmende“ in der Geschichte gut funktioniert hat und wo es auch heute wieder wirksam ist. Die Nobelpreisträgerin und Gemeinschaftsforscherin Elinor Ostrom (2011) hat dazu erstaunliche Befunde zusammengetragen. Silke Helfrich hat weltweit viele Beispiele für die gemeinschaftliche Nutzung von Boden und weiteren öffentlichen Gütern gesammelt. Peter Barnes, ein US amerikanischer Unternehmer, hat einen Leitfaden zur Wiederaneignung der Gemeinschaftsgüter verfasst. Christian Felber schlägt demokratische Allmenden als Baustein der Gemeinwohlökonomie vor (2012). Die Initiative für eine neue Wirtschaftsordnung schlägt neben Alternativen zum Zinssystem auch eine neue Bodenordnung vor. Lassen Sie sich inspirieren!
Achten Sie bei Ihrem nächsten Streifzug durch unbekanntes Land, vielleicht im Urlaub, einmal darauf, welche Flächen in welchen Ländern Sie nicht betreten dürfen. Wie geht es Ihnen als Weltenbürger, wenn Sie von Weitem einen schönen See sehen, aber nicht an dessen Ufer kommen?
Wenn die Zahl an Menschen, die einige der heutigen Annahmen und darauf beruhenden Vereinbarungen nicht länger wollen, groß genug wird, dann werden heutige oder künftige Regierungen diese Regeln ändern. Wann legen Sie los
Die genannten Quellen finden Sie hier sowie im abschließenden Beitrag dieser Folge.
\Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. **