Ein Geldsystem mit Zinsen sei für eine Wirtschaft notwendig. Der Beitrag prüft die Plausibilität dieser Behauptung und stellt die Gewinne dar, welche bei Überwindung dieses Mythos und einer Orientierung an zinsfreien Alternativwährungen erwartet werden dürfen.
Wenden wir uns nun dem Geldsystem unserer Zeit zu, welches dem Austausch von Waren und Leistungen aller Art dient. Und das heutzutage fest mit der Regel des Zinserhebens verknüpft ist. Wussten Sie, dass Papst Clemens der Fünfte im Jahr 1311 verbot, Zinsen für verliehenes Geld zu nehmen? Und dass er den weltlichen Obrigkeiten, welche Zinsen zuließen, mit Exkommunikation drohte? Als ich das zum ersten Mal in einem hervorragenden Buch von Hans Diefenbacher über Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit las (2001), begann ich mich mit dieser Frage zu befassen. Wozu dient das Zinssystem? Ist es vielleicht der Welt, die wir wollen, im Wege?
Schauen wir uns denkbare Begründungen für Zinszahlungen an. Zunächst haben die Bankangestellten, die einen Kredit geben, Schreib- und Rechenaufwand. Der muss bezahlt werden. Das leuchtet ein. Aber ist dieser Aufwand für einen Hausbau-Kredit, bei dem ich mir 200.000 Euro leihe und 400.000 Euro zurückzahle, tatsächlich 200.000 Euro wert? Diesen Betrag bekommt der Bankangestellte für seine Arbeit beim Füllen eines kleinen Aktenordners sicherlich nicht ausgezahlt.
Kann man das Zinssystem als Anreiz zum Geld verdienen und Sparen auffassen? Dient es vielleicht dazu, die Mitglieder einer Gesellschaft zu Höchstleistungen anhzuspornen, um mit ehrlicher Arbeit irgendwann richtig viel Geld beiseite gelegt zu haben, so dass sie sich dann über Zinsen freuen können? Und vielleicht sogar irgendwann so viel gespart haben, um von den Zinsen leben zu können?
Ein wenig Denksport am Rande: Wenn Sie mit etwa 5.000 Euro im Monat gut leben können, wieviel Geld müssten Sie ansparen, diesen Betrag an monatlichen Zinsen ausgezahlt zu bekommen?
Bei einem Zinssatz von 5% wären 1,2 Millionen Euro anzusparen. Das klingt irgendwie gut. Also brauchte jeder von uns nur jeweils 1,2 Millionen Euro anzusparen, und dann könnten wir alle aufhören zu arbeiten, um mit einem erklecklichen Auskommen unser Leben im Paradies zu beenden. Auf gutem Wege dahin sind wir schon: Gab es in der BRD 1960 noch 14.000 (DM) Millionäre, waren es 1978 bereits 217.000, während wir im Jahr 1998 bei 1.5 Millionen Millionäre angekommen sind (Freystedt & Biehl, 2005, S. 70). Wunderbar. Weiter so. Bis Sie und ich auch dazugehören.
Es gibt nur einen kleinen Haken. Wer macht dann die Arbeit in diesem Paradies? An diesem Gedankenexperiment wird deutlich, dass mit dem Zinssystem und den einfachen Begründungen seiner Notwendigkeit irgend etwas nicht stimmig scheint.
Wie hatte der Papst Clemens das Zinsverbot begründet? Er meinte, Zins sei Wucher. Zins führe zu Verdienst, zu Gewinn ohne Arbeit und sei deshalb moralisch nicht vertretbar. Die Theologen Martin Luther und Ulrich Zwingli teilten einige Generationen später noch diese Meinung. Das Zinsverbot wurde allerdings dann in den vergangenen 500 Jahren schrittweise umgangen, aufgelöst und schließlich bis in unsere Zeit hinein offenkundig weithin „vergessen“.
Schaut man nüchtern, welche Geldströme das Zinssystem in unserer Wirtschaft auslöst, so kann man zunächst allgemein sagen: Es handelt sich hierbei um eine gewaltige Umverteilungsmaschine, durch die täglich viele Millionen Euro ihre Besitzer wechseln. Nach Schätzung von Helmut Creutz waren das in Deutschland vor einigen Jahren etwa 600 Millionen Euro pro Tag (2004). Dabei ist der bekannte Zusammenhang, dass die Kreditnehmer wie etwa Häuslebauer ihre Zinsen an die Banken bzw. an die Menschen mit hohen Guthaben durchreichen, nur ein kleinerer Teil der Wahrheit.
Weniger bekannt ist, dass in den Preisen für alle Waren des täglichen Bedarfes im Mittel 40% Zinszahlungen versteckt sind (Kennedy, 2012). Wieso? Viele Produktionsfirmen haben Kredite an Banken zurückzuzahlen, welche den Preisen für die Verbrauchsgüter aufgeschlagen werden. Zu gut Deutsch: Wenn Sie am Samstag im Markt für Ihre Wochenend-Party 100 Euro ausgeben, dann haben Sie 40 Euro an die Banken gezahlt, 19 Euro Mehrwertsteuer an den Staat und 41 Euro für die Lebensmittel. Wenn Sie Miete zahlen, sollten Sie wissen, dass in Ihrem Mietpreis ein noch höherer Anteil Zinsen enthalten ist, welcher im Schnitt über 60 % liegt. Wenn Sie das alles einmal zusammenzählen, werden Sie feststellen, dass Sie zu einem großen Anteil Ihrer Arbeitszeit streng genommen für den Erhalt des Zinssystems arbeiten. Dass also ein substantieller Anteil Ihres Arbeitseinkommens Monat für Monat in den Banken landet.
Und wofür werden diese Beträge verwendet? Schauen Sie sich in der nächstgelegenen größeren Stadt einmal die Gebäude der Kreditinstitute an oder erkundigen Sie sich im Internet nach den Einkommen von Managern großer Banken. Dahin fließt ein Teil dieser Beträge, ein anderer Teil wird von den Banken erneut in Krediten ausgegeben, so dass die Geldgewinnungsmaschinerie scheinbar stetig in Gang bleiben kann. Dass das allerdings nur eine gewisse Zeit funktioniert, zeigen die großen Finanzkrisen. Um diese hinauszuzögern, wird von vielen Ökonomen ein stetiges Wachstum der Gesamtwirtschaft gefordert. Darum wird es im folgenden Kapitel gehen.
Sollten Sie die hier genannten Zusammenhänge in dieser Deutlichkeit bislang noch nicht gesehen haben, dann lesen Sie gern noch ein wenig bei dem Klassiker auf diesem Gebiet, Helmut Creutz (2004), bei dem Sozialwissenschaftler Joseph Huber (2011) oder dem Ökonomen Hans Christof Binswanger (2010). Sollten Sie zur Meinung kommen, dass das heutige Zinssystem nicht fair ist und der Welt, die wir wollen, im Weg steht, so lassen Sie uns am nun ein wenig darüber sinnieren, was wir tun können, um ein faires System zu entwickeln.
Zur Zeit der Weltwirtschaftskrise um die 1930er Jahre wurde in der Kleinstadt Wörgl in Österreich 1932 eine zinslose Alternativwährung eingeführt. Während andernorts ganze Volkswirtschaften kollabierten, begann in Wörgl die lokale Wirtschaft zu blühen. Straßen und Brücken wurden gebaut und die Zahl der arbeitslosen Personen in der Stadt sank (Schwarz, 2011). Diese Währung wurde von österreichischen Regierungsbehörden nach eineinhalb Jahren verboten und damit war das Experiment beendet. Doch dieses Beispiel einer Alternative wurde nicht vergessen.
Heute gibt es an vielen Stellen der Erde ähnliche Alternativwährungen und auch Tauschringe, die außerhalb des Zinssystems mit neuen zinslosen Systemen arbeiten. Recherchieren Sie, wo in Ihrer Nähe solche Aktivitäten stattfinden und sondieren Sie die Rechtslage. Machen Sie sich stark für Lösungen, die im Kleinen, im regionalen Umfeld beginnend, Alternativen ausloten. Wenn Sie auf Gesetze stoßen, welche Ihre Arbeit behindern, denken Sie daran, dass Gesetze und Regelungen von Menschen für Menschen geschaffen worden und veränderbar sind. Denken Sie an Papst Clemens und Martin Luther, Sie sind in guter Gesellschaft!
Übrigens haben wir das Problem mit dem exponentiellen Wachstum von Zinsen ja bereits einige hundert Jahre und es gab schon aufregende Vorschläge, was man außer einer Abschaffung der Zinsen noch tun könnte: Zum Beispiel in bestimmten Zeitrhythmen einfach alle Schulden erlassen. In der jüdischen Religion gab es genau diese Regelung, auf eine Weisung von Mose zurückgehend. Das Jahr, in dem die Schulden erlassen wurden, war übrigens das „Jubeljahr“, welches Sie sicherlich als geflügeltes Wort kennen (Kennedy, 2012).
Was halten Sie von folgendem Vorschlag: Warum nicht das Zinssystem zurückbauen und schließlich bis auf die reinen Verwaltungskosten abschaffen? Nicht von heute auf morgen, aber innerhalb - sagen wir von zwei Generationen – könnte man das schrittweise umsetzen. Dann haben die Menschen, die heute vom jetzigen System profitieren, genug Zeit, für sich und Ihre Nachkommen andere Einkunftswege zu überlegen. Etwa die drei reichsten Personen der Welt, die um die Jahrtausendwende das gleiche Jahreseinkommen hatten wie 48 Staaten zusammengenommen (Brown & Flavin, 1999, S. 45). Und die große Mehrheit derjenigen Menschen, die sich vom heutigen Zinssystem übervorteilt sehen, kann sich an dem Gedanken freuen: Dass eine Hürde auf dem Weg zu einer fairen Welt von morgen in einigen Jahren Geschichte sein wird.
Ist Ihr Ehrgeiz erwacht, das mit dem heutigen Geldsystem bis in die Details hinein noch genauer verstehen zu wollen? Dann befassen Sie sich mit der Frage, wo das Geld eigentlich herkommt, das uns von den Banken so großzügig als Kredit überlassen wird. Der Professor für Volkswirtschaftslehre Bernd Senf hat sich seit Jahrzehnten intensiv mit dieser Frage der Geldschöpfung befasst. Er ist zum Schluss gekommen, dass es sich hier um ein bis heute zu behüten gesuchtes “Bankgeheimnis“ handelt. Ein „Geheimnis“, bei dem über gezielte Begriffsverwirrungen und ungeheuerliche bewusste Täuschungen die (recht einfachen) Zusammenhänge zu verschleiern gesucht werden. Gegen die Lektüre des Geld-Zins-Krimis sind gewöhnliche Kriminalstories eher langweilig. Sie können das Geheimnis lüften, wenn Sie die Ausführungen von Herrn Senf zu “Bankgeheimnis Geldschöpfung” im Internet lesen.
Nur so als Appetitmacher: Wussten Sie, dass die einflussreichste private Zentralbank der Welt im Jahr 2005 beschlossen hat, die Entwicklung der Geldmenge nicht mehr zu veröffentlichen? Dass seitdem unbekannte Mengen Geldes ohne jegliche demokratisch legitimierte Steuerung in den Geldkreislauf einfließen können?
Die genannten Quellen finden Sie hier sowie im abschließenden Beitrag dieser Folge.
\Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. **