Psychologie des Wandels. Zum Wirtschaftswachstum

Stetig andauerndes Wachstum sei für eine gesunde Wirtschaft notwendig. Der Beitrag prüft die Plausibilität dieser Behauptung und zeigt Optionen auf, welche bei Überwindung dieses Mythos möglich werden, etwa gemeinschaftliche regionale Ökonomie.

Eine wirklich harte Nuss ist die Sache mit dem Wirtschaftswachstum. Als ich vor vielen Jahren von Ernst Schumachers  Überlegungen erfuhr (1988, 2013), nach denen es in einem abgeschlossenen System kein endloses Wachstum geben kann, hatte mich das auf Anhieb überzeugt. Auch in der Natur sind gesunde Wachstumsprozesse bekanntlich auf ein endliches Zeitfenster beschränkt. Alle Lebewesen, Pflanzen, Tiere und darunter auch wir Menschen wachsen eine bestimmte Zeit, bis wir ausgewachsen oder erwachsen sind. Danach geht der Stoffwechsel weiter, aber dieser beruht auf balancierten Austauschprozessen in geschlossenen Kreisen, in denen das Ganze nicht weiter wächst und auch kein Element auf Kosten anderer Teilsysteme wächst. Eine Ausnahme bildet das Krebswachstum, welches, solange wir keine Medikamente dagegen finden, zum Tod des Organismus führt - kein schönes Vorbild für das endlos fortzusetzende Wachstum der Wirtschaft (Diefenbacher, 2002).

Doch bevor man ein Medikament einsetzt, sollte man verstanden haben, dass man krank ist. Und hier beginnt das Problem mit dem Wirtschaftswachstum. Schlägt man eine Tageszeitung auf, wird man ziemlich wahrscheinlich irgendwo eine Meldung finden, die sich auf das Wirtschaftswachstum  bezieht. Der Tenor solcher Meldungen ist stets gleich: Wirtschaftswachstum sei wichtig und gut. Wenn es hoch ist, so bei drei Prozent oder mehr pro Jahr, dann ist die Welt in Ordnung. Aber wehe es liegt darunter, bei einem Prozent oder weniger. Dann wird gestöhnt und geächzt. Wirtschafts“weise“ beginnen zu lamentieren und Politiker denken sich schnell ein Gesetz zur Ankurbelung oder Beschleunigung des Wirtschaftswachstums aus. Zuletzt in Deutschland passiert anno 2010, nachdem das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 offenbar nicht mehr recht wirksam war.

Mit welcher der beiden gegensätzlichen Annahmen wollen wir die Welt von morgen gestalten? Ist endlos fortgesetztes Wirtschaftswachstum eine Pathologie - oder aber ein Heilmittel für andere Probleme? Oder ist ein Kompromiss  denkbar, der seit wenigen Jahren vorgeschlagen wird: Ein weiteres Wachstum der Wirtschaft, das von dem Verbrauch endlicher Ressourcen und den damit verbundenen ökologischen Schäden „entkoppelt“ wird?

Ich lade Sie ein zu einem kleinen Sinkflug mit einem Internet-Geographieprogramm in den Süden von Leipzig in Sachsen. Finden Sie auch, dass es dort eigenartig aussieht? Es handelt sich um eine Landschaft mit Braunkohlentagebau, dort verschwindet seit vielen Jahrzehnten ein Dorf nach dem anderen von der Landkarte.

Vor diesem Hintergrund kann die Idee einiger Ökonomen, man könne das Wirtschaftswachstum von den materiellen Ressourcen „entkoppeln“, momentan nicht überzeugen. Man will das Wachstum der „schmutzigen“ Produktion beenden, dafür aber den Dienstleistungssektor umso mehr ankurbeln. Diese Idee scheint deshalb nicht zu funktionieren, weil auch jede Dienstleistung Energie  und Ressourcen benötigt. Und die Energie, die wir heute in unserem Land nutzen, stammt nach wie vor überwiegend aus fossil/nuklearen Quellen (für mehr Details zu den Schwierigkeiten einer „Entkoppelung“ s. Paech, 2012).

Obendrein gibt es in Deutschland derzeit Pläne, fossile Ressourcen weiterhin zu nutzen, allerdings nun auch mit neuen Verfahren. Zum Beispiel über  ein sogenanntes „fracking“ Verfahren. Das hat mit fragwürdigen Chemikalien zu tun, die in die Erde verpresst werden, um kleinteilige fossile Rohstoffe tief im Erdmantel zu lösen und damit fördern zu können. Konsequenzen für das Grundwasser? Wird es ebensowenig geben wie havarierende Atomkraftwerke.

Auch an der genialen Idee, das bei der Kohleverbrennung entstehende Kohlendioxid-Gas nicht in die Luft zu blasen sondern unter die Erde zu pressen (CCS – Carbon Capture and Storage), wird gearbeitet. Man behauptet, es gebe sichere Hohlräume.  Kennen Sie eine Höhle, die für alle Zeiten von Bewegungen in der Erdkruste unberührt bleiben wird? Mir wäre das neu. Immerhin - aus den Hohlräumen würde das Gas dann ja erst im Laufe der nächsten Generationen irgendwann aufgrund tektonischer Bewegungen wieder in die Luft gelangen. 

Hut ab vor den Erfindern solcher Dinge – aber wollten wir unseren Nachkommen nicht eine lebenswerte Erde hinterlassen? Abgesehen davon, dass wir mit solchen Kniffen die Energieversorgung der Zukunft nicht lösen können, da es sich um endliche Ressourcen handelt.

Lässt sich vielleicht mit einem kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien ein vom Verbrauch endlicher Ressourcen entkoppeltes weiteres „sauberes“ Wachstum umsetzen? Nein. Auch Energie aus erneuerbaren Quellen kann das Himmelreich des endlosen Wachstums nicht ermöglichen. Windräder, Solarmodule und Rohstoffe für Bioenergie sind zunächst einmal  herzustellen. Die Menge an Energie, die sie bereitstellen können, ist nicht endlos. Selbst wenn wir 10 % unserer Fläche in Deutschland mit Solarzellen und Windrädern bestücken würden, wäre die auf dieser Fläche bereitstellbare Energie im Verlauf eines Jahres begrenzt. Wie kann da eine Wirtschaft, die Energie braucht, endlos weiterwachsen?

Immer mehr Windräder und Solarzellen zu installieren, kann  bestenfalls noch ein Weilchen weiterhelfen. Aber irgendwann, spätestens wenn die gesamte Fläche eines Landes belegt ist, geht auch da nichts mehr.

Die Kreislaufwirtschaft, bei der man statt endlicher auf nachwachsende Rohstoffe setzt und abfallfreie Kreisläufe im Einklang mit natürlichen Prozessen anzielt, ist ein hervorragender Ansatz. Doch auch die Menge an Energie und Rohstoffen, die man aus den Kreisläufen „abzapfen“ kann, ist begrenzt. Denn: Unser Planet ist ein endliches System, dessen Energie-Zufuhr von der Sonne ebenfalls einen festen Betrag pro Zeiteinheit umfasst, wie wir in einem der vorigen Beitrag schon gesehen haben.

Das heißt: Auch innerhalb solcher innovativer Ansätze werden wir nicht umhin kommen, uns um die Grenzen des Wachstums Gedanken zu machen. Wenn Sie hier mitschwingen mögen, also endlos fortgesetztes Wachstum einer an Ressourcen- und Energie gebundenen Wirtschaft für problematisch halten, dann können wir uns zwei Fragen zuwenden: Warum halten große Teile der Gesellschaft, fast alle Wirtschaftswissenschaftler und auch Politiker, so vehement an dieser Annahme fest? Und: Welche Alternativen sind denkbar?

Über die erste Frage habe ich lange nachgedacht und viele mögliche Erklärungsansätze gelesen (z.B. Seidl & Zahrnt, 2012). Der plausibelste scheint mir im Moment folgender zu sein (Löhr, 2010): Ohne Wachstum der Wirtschaft würde das Problem mit den Zinsen, um das es im vorigen Kapitel ging, in sehr kurzer Zeit zu schwerwiegenden sozialen Verwerfungen führen. Jede Industriegesellschaft mit einem auf Zinsen beruhenden Finanzsystem würde nach sehr kurzer Zeit am Rand eines Abgrundes stehen. Wieso? Sie erinnern sich: in einem Zinssystem wechseln täglich viele Millionen Euro unumkehrbar ihre Besitzer, in Deutschland ca. 600 Millionen Euro. Bei konstanter Geldmenge und in einem System, in dem ausschließlich schon bestehende Wirtschaftsbetriebe einfach auf gleichem Niveau weiterwirtschaften, würde die Umverteilung der Geldmenge in kürzester Frist zum Kollaps der Gesellschaft führen. Weil exakt diejenige Geldmenge, die sich bei den Zinsnehmern anhäuft, bei den Zinsgebern abzuziehen ist. Das heißt, Löhne und Renten würden kontinuierlich sinken müssen, da die Gesamtmenge des verteilbaren Geldes ja konstant ist.

Eine solche Entwicklung führt, wie die Geschichte zeigt, regelmäßig zu sozialen Unruhen, zu Aufruhr und Revolutionen. Darauf will man es nicht ankommen lassen – und hier nun der springende Punkt: Wenn eine Wirtschaft ständig expandiert, wenn sich in den Banken ansammelnde Gelder sowie neu “geschöpfte“ Geldmengen sofort wieder als Kredite für neue Bauprojekte ausgegeben werden, dann sprudeln neue Gelder, neue Zinsrückzahlungen in die Banken zurück. So kann man es sich eine Weile leisten, die Löhne und Renten konstant zu halten oder sogar leicht zu steigern, und gleichzeitig das exponentielle Wachstum der Vermögen durch Zins und Zinseszins zu ermöglichen. Wie lange kann das gut gehen?

Kennen Sie das Pyramidenspiel? Falls nicht, schauen Sie im Internet nach – es ist wirklich „gespielt“ worden (z.B. vom „European Kings Club“ vor etwa 20 Jahren) und kann uns hier vielleicht helfen, das Problem mit Zins und Wirtschaftswachstum genauer zu verstehen. Es gibt verschiedene Varianten und Bezeichnungen des Spiels. Die Regeln sind etwa folgende: Sie werden aufgefordert, 100 Euro in die Spielkasse einzuzahlen und Ihnen wird in Aussicht gestellt, in sehr kurzer Zeit, nach drei Spielrunden, 11.000 Euro auf Ihr Konto überwiesen zu bekommen. Das Ganze funktioniert für Sie persönlich dann, wenn Sie 10 gute Bekannte finden, die in der nächsten Runde mitspielen, also auch jeweils 100 Euro einzahlen. Und wenn jeder von denen wieder 10 gute Bekannte für eine dritte Runde überreden kann, erhalten Sie tatsächlich das versprochene Geld. Als ich einmal angesprochen wurde, mitzuspielen, habe ich das verweigert, weil ich das Spiel als Diebstahl gegenüber mathematisch unbegabten Personen ansah.

Einen vergleichbaren Haken scheint es mit dem Wirtschafts-Wachstums-Spiel zu geben. Eine Minorität profitiert, die Mehrzahl der Menschen zahlt drauf. Wieso? Beim Pyramidenspiel besteht der Haken ja darin, dass die Teilnehmer der letzten Spielrunden nichts abbekommen, weil es irgendwann niemanden mehr gibt, der noch einzahlen könnte. Stellen wir uns ein Land mit 111 Millionen Einwohnern vor. Das sind etwas mehr Menschen als gegenwärtig in Deutschland leben. Wenn ich in diesem Land das Spiel starten würde und alle mitspielen würden, wäre das Spiel nach 9 Spielrunden definitiv vorbei: Nach drei Runden wären es 111 Mitspieler (ich, die von mir 10 angeworbenen Personen sowie die weiteren 100 Personen – und ich würde die 11.000 Euro bekommen – Hurra!). Nach sechs Spielrunden wären es bereits 111.111 Mitspieler, welche die Teilnehmer von Runde 4 mit dem versprochenen Betrag beglücken würden. Nach neun Spielrunden wären alle 111 Millionen Einwohner des Landes Spielteilnehmer. 

ENDE, mehr Einwohner hat das Land nicht. Sie sehen, die Leute von Runde 8 und 9, also 110 Millionen der etwa 111 Millionen Mitspieler, zahlen ein, bekommen aber nichts. Eigentlich klar, denn das Geld, das die Gewinner aus Runde eins bis sieben bekommen, muss ja irgendwo herkommen.  

Würden alle Menschen der Welt mitmachen und wir von ca. 11 Milliarden Menschen ausgehen, könnte das Spiel noch 2 Runden weitergehen. Dann gäbe es zwar stolze 111 Millionen Gewinner, aber dennoch wären etwa 99 % der teilnehmenden Menschheit angeschmiert (Runde 10 und 11 hätten eingezahlt, ohne etwas zu erhalten).   

Das Verwerfliche an dem verlockenden Spiel besteht darin, dass es nur bis zur jeweils drittletzten Runde funktionieren kann. Und da die Zahlen der Beteiligten von Runde zu Runde nicht linear sondern exponentiell ansteigen, sind die Gewinner des Spiels stets eine verschwindend kleine Minorität.

Das Pyramidenspiel der Wirtschaft begann, als das Zinsverbot aufgehoben wurde. Als eine kleine Gruppe Menschen merkte, dass es sich trefflich leben lässt von Zinsen und auch von Bodenschätzen, für die man nichts bezahlen braucht. Wenn man fix genug ist, das Land, in dem sie sich befinden, als sein Eigentum zu deklarieren.

In der Antike und dem frühen Mittelalter waren Leibeigenschaft und Sklavenhalterei gängige Ideen, auf Kosten anderer zu leben. Diese  waren in Verruf geraten und ließen sich schwer dauerhaft durchsetzen. Und so boten sich mit dem Zinsnehmen und dem Aneignen von Grund und Boden weniger leicht durchschaubare Alternativen – welche für die Erfinder der neuen Regeln nun elegantere Regeln für ihr parasitäres Wirtschaften bereitstellen.

Wie das Pyramidenspiel jedoch nur bei endlosem Wachstum der Spielergemeinschaft dauerhaft funktionieren kann, kann auch eine Wirtschaft mit Zinssystem und begrenzten Rohstoffen nur solange funktionieren, solange der Umsatz an Geld, Energie und Ressourcen anwächst. In beiden Fällen scheint die Annahme eines endlosen Wachstums moralisch fragwürdig zu sein – oder würden Sie diese Annahme lieber schlicht als Betrug bezeichnen? Bei dem Spiel, weil wir wissen (können), dass die Zahl der Mitspieler endlich ist und es damit fast ausschließlich Verlierer des Spiels gibt. Beim Wirtschaftswachstum, weil wir auch hier wissen (können), dass die Ressourcen unseres Planeten endlich sind. Verlierer dieses Systems sind die zahllosen heute lebenden Menschen, welche für ihre Arbeit keine anständige Bezahlung erhalten sowie die Menschen künftiger Generationen, die eine geplünderte Erde vorfinden.  

Damit das schöne Spiel mit Zins und Wirtschaftswachstum nicht gar zu abrupt zu  Ende geht, milderte man die Spielregeln gegenüber dem beschriebenen Pyramidenspiel ab. Für jeden Mitspieler wird in Aussicht gestellt, über längere Zeit einen Teil des Spielüberschusses, also der Zinsen zu bekommen. Zum Beispiel erhält man für 10.000 Euro Spareinlagen bei 2% Zinsen immerhin 200 Euro pro Jahr Zinsen. Die großen Nutznießer des Spiels, bekommen etwas mehr und kennen nach einigen Runden keinerlei Geldsorgen mehr. Suchen Sie im Internet nach Einkommensmillionären, wenn Sie erfahren wollen, um welche Größenordnung es sich handelt - in Branchen wie Bankwirtschaft oder Automobilbau werden Sie da schnell fündig.

Hier ist ein kleiner Unterschied zum oben beschriebenen Spiel: In der Finanzwirtschaft sprudelt die Geldquelle, wenn das Spiel ins Rollen gekommen ist, über längere Zeiträume. Ein zweiter Unterschied besteht darin, dass in der klassischen Ökonomie das mathematisch berechenbare Ende des Spiels verschleiert wird. Die letzten beiden Runden des Pyramidenspiels, die unerbittlich das Ende des Spiels darstellen, werden in der Ökonomie auf lange Zeiträume „gestreckt“. Dies erreicht man, indem weit in der Zukunft liegende Ereignisse sowie Bedürfnisse künftiger Generationen von Menschen „diskontiert“ werden, zu gut Deutsch: Sie werden weniger wichtig genommen als der ökonomische Nutzen der Produktion in der Gegenwart für heute lebende Menschen.

Wieso? Ja - weil man im Rahmen der heutigen Annahmen über das ständige Wachstum an verfügbaren materiellen Gütern davon ausgeht, dass künftige Generationen wahrscheinlich reicher sein werden als wir heute. Und dass daher die heutige Generation mehr konsumieren kann. Oder wie die Umweltethiker Ott & Döring (2004) es genauer formulieren: „Die Annahme stetigen Wirtschaftswachstums und damit die bessere materielle Ausstattung künftiger Generationen beruht also vornehmlich auf der Annahme eines ständigen Zuwachses an materiellen Gütern und Konsumchancen. … Gemäß dieser Begründungsstrategie darf nur genau all dasjenige abdiskontiert werden, das in Zukunft (vermutlich) reichhaltiger als gegenwärtig vorhanden sein wird. Nur dann nämlich verliert zukünftig jede einzelne Einheit dieses Gute an Wert für die Zukünftigen“ (S. 125).

Sofern Sie die im vorangegangenen Text formulierten Überlegungen über die Beschränktheit von Ressourcen aller Art teilen, sehen Sie hier vielleicht auch eine schwerwiegende Verirrung menschlichen Denkens? Die zeitlich begrenzte Möglichkeit einer Entnahme von endlichen Rohstoffen aus der Natur wird ohne Gegenleistung kalkuliert (Binswanger, 2012). Die Schäden für die biosphärischen Kreisläufe und die Kosten für deren Behebung werden nicht in die Rechnung einbezogen (sie werden „externalisiert“, Löhr, 2012). Und schließlich wird der Schluss gezogen, dass es künftigen Generationen materiell besser gehen wird als uns heute (Braungart, 2012).  

Nun können wir beginnen, die Kreise zu schließen und Zusammenhänge zwischen den Themen des Buches zu suchen. Was passiert zum Beispiel mit dem vielen Geld, das sich bei den Gewinnern des Zins- und Wirtschaftswachstumsspiels ansammelt? Sie erinnern sich, in Deutschland nach Angaben von Herrn Creutz (2004) etwa 600 Millionen Euro täglich? 

Man stützt politische Parteien: Von der Erbin eines Autokonzerns wurde bekannt, dass sie große Beträge an eine Partei gespendet hat, welche die heutigen Regeln der Wirtschaft vehement verteidigt. Oder man sponsert Forschungsinstitute, welche die Wissenschaftlichkeit und Alternativlosigkeit der heute gängigen Spielregeln unter Beweis stellen sollen.  

Wie lange kann das Wirtschafts-Pyramidenspiel noch funktionieren? Solange es in der Erdkruste noch Ressourcen und auf der Erde Menschen gibt, die weiter ohne faire Gegenleistung in das Spiel einzahlen. Solange, bis die wirklich allerletzten realen Quellen der Wertschöpfung, die in den natürlichen Ressourcen unserer Erde liegen, restlos ausgequetscht sind, und solange die vielen Verlierer des Spiels weiter mitspielen anstatt neue Spielregeln zu schaffen.

Fänden Sie es auch etwas charmanter, wenn wir das Spiel vorher beenden und neue Regeln einführen? Das wäre auch fair gegenüber einer Gruppe von Menschen, die heute noch nicht mitreden kann: Unsere Nachfahren gehören ziemlich wahrscheinlich zu den Verlierern des Spieles, wenn wir ihnen eine zerlöcherte und ausgelaugte Erde hinterlassen, mit Atommülllagern und Kohlendioxid-Blasen (CCS) in unterirdischen Hohlräumen. Auch wenn viele von uns heute lebenden Menschen befürchten, dass dies eintreten könnte – blättern Sie noch mal auf die erste Seite der Beiträge dieser Folge zurück: Es liegt an uns Menschen, die heute leben, wie die Geschichte weitergeht.

Eine Idee zur Auflösung des Knotens hatte ich am Schluss des letzten Kapitels beschrieben, die Abschaffung des Zinssystems. Sie scheint mir im Zentrum des ganzen Problembündels zu liegen. Darüber hinaus kann man individuelle oder auch regionale kleine Ausstiege aus dem Wirtschaftswachstum in Erwägung ziehen. Gründen Sie mit Freunden Gemeinschaften, in denen Sie eine „solidarische Ökonomie“ oder „Gemeinwohlökonomie“ anstreben. Im Internet finden Sie zahllose Aktivitäten und Anregungen unter den entsprechenden Stichworten.

Solche Gemeinschaften sind nicht auf Wachstum und Gewinnmaximierung aus, sondern auf die Absicherung des Lebensunterhaltes der Menschen in der Gemeinschaft. Energiegenossenschaften zum Beispiel (wie die in vielen Energiewendedörfern, die nach dem Modell unseres Göttinger Teams entstanden sind) sichern eine verlässliche und preiswerte Energieversorgung vor Ort. Wenn Sie Ihre Aktivitäten in engem Austausch mit Gleichgesinnten umsetzen und auch theoretisch reflektieren mögen, dann schließen Sie sich einer der Regionalgruppen der Wachstums-Wende Initiative an Lesen Sie, was mutige Wirtschaftswissenschaftler über die neue Sicht zu sagen haben (Jackson, 2013, Paech, 2012). Niko Paech hält bundesweit Vorträge und bietet damit die Gelegenheit, zu diesem Thema ins Gespräch zu kommen.

Es ist letztlich eine Rückkehr zum menschlichen Maß, die schon Ernst Schumacher, der kritische Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, unter Berufung auf die Bergpredigt vorschlug (2013). Zum Beispiel langlebige Produkte kaufen oder selbst herstellen, um der besonders perfiden „geplanten Obsoleszenz“ und der damit noch einmal beschleunigten Abfall-Kultur etwas entgegenzusetzen. Anstelle des Konsums von Produkten aus endlichen Rohstoffen selber Produkte zum Leben herstellen, die vollständig aus recycelten oder nachwachsenden Rohstoffen bestehen. Sie meinen, das könnte schwierig zu bewerkstelligen sein? Holen Sie sich in den Klassikern zu solchen Fragen - der „Blue Economy“ von Gunter Pauli (2011) oder dem Buch „Cradle to cradle“ (Von der Wiege – zur Wiege) von William McDonough und Michael Braungart (2002) Anregungen, wie wir diesen Mythos überwinden können. 

Und wenn Sie es eher praktisch mögen: In Skandinavien pflegen viele Menschen die „Frijluftslif“ Bewegung. Hier wird ein einfaches Leben in und mit der Natur nicht gepredigt, sondern im Alltag umgesetzt. Fast alle Norweger zum Beispiel praktizieren Elemente dieser Lebenskultur. Sie stellen in Eigenregie Werkzeuge, Kleidung, Behausungen oder Lebensmittel her - aus Materialien, welche die Region bereitstellt. Auch in Deutschland gibt es Menschen, die das schon ziemlich weitgehend tun – im Kapitel über regionale Produktion werde ich diesen Faden weiterspinnen. Und wenn Sie wissen wollen ob das auch Spaß macht: Die interviewten deutschen Personen einer Studie von Daniela Scholz, die sich das in Skandinavien abgeschaut haben, berichten durchgängig,  dass sie den Umstieg auf diese Art von Leben als eine große Befreiung und Bereicherung erfahren (Scholz, 2012). 

Die genannten Quellen finden Sie hier sowie im abschließenden Beitrag dieser Folge.

\Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. **