Неutе ⅴоr fünf Јаhrеn еrѕсhіеn ⅿеіn Αrtіkеl "Ⅾіе Μеⅾіеn‐Εріԁеⅿіе"‚ ԁеn ісh hіеr nеbеn ⅾrеі ԝеіtеrеn Ѕtüсkеn аuѕ ԁеn еrѕtеn Τаɡеn ⅾοkuⅿеntіеrе. Ιn еіnеⅿ zԝеіtеn Τеіl fоlɡеn Теⅹtе аuѕ ⅾеⅿ Ϝrühѕοⅿⅿеr 2020 unⅾ еіn Αrtіkеl аuѕ ԁеⅿ Ηеrbѕt‚ ԁеr ѕрӓtеr ⅴоr Ԍеrісht ⅴеrhаnԁеlt ԝurⅾе.
Die Medien-Epidemie
Rubikon und Medienrealität, 18. März 2020
Ab jetzt regiert die Medizin, hat Markus Söder am Montag gesagt. Medienforscher, ab ins Homeoffice. Von dort sehen wir, was Ärzte nicht untersuchen können. Wir sehen, wie Medien eine Realität schaffen, die Politiker für so real halten, dass sie die Welt komplett umbauen – eine Medienwirkung zweiter Ordnung, die auf Medienwirkungen erster Ordnung vertrauen und uns alle so ins Chaos stürzen kann.
Ich gebe zu: Wenn man nicht krank ist und dazu noch ein Fatalist und Dickhäuter, den es nicht stört, wenn Bars und Kinos geschlossen sind und die Leute böse schauen, wenn sie einen ins Büro gehen sehen, dann lebt man als Medienforscher gerade in goldenen Zeiten. Nie zuvor war die Macht der Medien so offensichtlich. Nie zuvor war mein Forschungsgegenstand so wichtig. Eigentlich hätte Markus Söder am Montag sagen müssen: Ab jetzt regieren die Medien.
Genau genommen tun sie das schon lange, aber bei den allermeisten Themen haben die Politik und andere mächtige Akteure die Logik des Journalismus so internalisiert, dass sie den Redaktionen das liefern, wonach diese ohnehin suchen. Meine Theorie der Medialisierung beginnt genau da: Jeder Entscheidungsträger weiß, dass heute nichts mehr geht ohne öffentliche Aufmerksamkeit und ohne öffentliche Legitimation. Jeder weiß, dass er die Medien braucht, und versucht deshalb entweder, die Berichterstattung zu unterbinden, oder die Logik des Mediensystems für seine Interessen zu nutzen und in der Öffentlichkeit ein positives Bild zu erzeugen (vgl. Meyen 2014, 2018). Deshalb die großen PR-Stäbe, deshalb all die spektakulären Projekte, Events, Ideen, deshalb Spitzenleute wie Markus Söder, der beim Bayerischen Rundfunk Volontär war und weiß, wie die Kolleginnen und Kollegen von einst so ticken.
Corona war anders. Corona kam aus dem Nichts (aus China, okay, aber hier ist kein Platz für Verschwörungstheorien). Corona hat die Medienrealität gekapert, ohne dass die Redaktionen sich wehren konnten, weil der Imperativ der Aufmerksamkeit in einem kommerziellen Mediensystem auch die gebührenfinanzierten Angebote regiert. Corona ist Medienlogik pur. Journalismus war schon immer Selektion. Selbst das, was an einem Tag in einem Stadtteil von München passiert, würde mehr füllen als eine Süddeutsche Zeitung. Heute wird das Medienrealität, was die meisten Klicks verspricht, die meisten Likes, die meisten Retweets. Superlative, Sensationen, Prominente. Dinge, die es so noch nicht gab. Drei Infizierte, 15, 200. Tom Hanks. Der erste Bundestagsabgeordnete. Der erste Zweitligaspieler. Der erste Trainer. Sogar jemand von Juve, eben noch halbnackt in der Jubelkabine, und in drei Tagen schon auf dem Rasen gegen Lyon. Tom Hanks aus dem Krankenhaus entlassen. Und jetzt auch noch Merz.
Medienrealität ist eine Realität erster Ordnung – wie der Zaun, der uns nicht vorbeilässt, oder der Polizist, der unseren Ausweis sehen will. Wir können die Medienrealität nicht ignorieren, weil wir annehmen, dass sie Folgen hat – wenn vielleicht auch nicht für uns, so doch für andere. Selbst wenn wir persönlich nicht glauben, dass eine Ausgangssperre kommt oder die Versorgungsketten gekappt werden, fangen wir an, Klopapier zu horten (oder Rotwein, wenn wir Italiener wären), weil wir glauben, dass die anderen ihr Verhalten ändern werden, und zwar so, wie es der Medientenor vorgibt.
Wer nicht versteht, was Markus Söder gerade reitet oder all die anderen, die in irgendeinem Regierungssitz oder auch nur in einer kleinen Behörde oder gar in einer Universität Verantwortung tragen, hat hier einen Schlüssel. Entscheidungsträger unterstellen, dass Massenmedien mächtig sind, und wollen entweder die Deutungshoheit zurückerobern oder scheuen jedes selbständige Denken. Das Motto der Stunde: Die Medien sind voll mit Corona (sie sind es wirklich, weil wir das immerfort klicken, liken, retweeten), also müssen wir die Menschen davor schützen, ob sie wollen oder nicht. Diese Menschen wissen, was die Italiener unternehmen, was die Berliner und was der junge Kurz in Österreich. So einen brauchen wir auch, ruft die Bildzeitung. Kein Problem. Das können wir toppen. In Deutschland regiert ab jetzt die Medizin. Was morgen sein wird? Schauen Sie einfach, welche Hashtags gerade auf Twitter im Trend sind. Dort treiben sich Reporter und Politiker gegenseitig in ungeahnte Höhen.
Damit sind wir bei der Verantwortung und beim Ethos des Journalismus. Was ist aus dem Ort geworden, an dem die Gesellschaft, an dem wir alle das diskutieren und aushandeln können, was uns umtreibt? Wo ist der Streit der Meinungen, der doch gerade bei existenziellen Entscheidungen wie denen, die Markus Söder am Montag verkündet hat, nötiger wäre denn je? Wann ist das Prinzip der US-Journalismus-Ikone I.F. Stone verschwunden, der seine Kollegen ermahnt hat, gerade bei mächtigen Institutionen immer besonders vorsichtig zu sein – also auch bei der Charité, auch beim Robert-Koch-Institut und erst recht bei jeder Regierung (vgl. Goeßmann 2017: 30). Marcus B. Klöckner (2019: 9) hat gerade gezeigt, wie es zu einem Journalismus kommen konnte, der die Macht nicht kritisiert und kontrolliert, sondern einen „Schutzmantel um die politischen Weichensteller legt“ und kritische Stimmen aus dem „legitimen öffentlichen Diskursraum“ de facto ausschaltet.
Natürlich: Es gibt Perlen im Corona-Einheitsbrei. Rubikon zum Beispiel, eine alternative Plattform, auf der Herausgeber Jens Wernicke seit Tagen Gegenstimmen sammelt. Heribert Prantl, SZ-Leitartikler im Ruhestand, hat in seinem Sonntagsbrief („Prantls Blick“) „den virologisch-politisch-publizistischen Rigorismus“ beklagt, und seine alte Redaktion ließ im Feuilleton am Dienstag Rene Schlott, einen Historiker, mit der Frage zu Wort kommen, ob „die offene Gesellschaft erwürgt“ werde, „um sie zu retten“ (online hinter einer Bezahlschranke). Schlott spricht sich gleich zu Beginn seines Artikels Mut zu und hofft, dass ihn nicht ausgerechnet dieser Text in die Isolation treibt. Noch deutlicher wird der hegemoniale Diskurs auf der Webseite von Radio Eins, bezahlt von unseren Beiträgen und betrieben vom RBB. Es gibt dort ein Interview mit Karin Mölling, einer preisgekrönten Virologin im Ruhestand, zehn Minuten immerhin, die dort vor Panikmache warnt, Corona mit Blick auf Influenza relativiert und ein drittes Virus, eine dritte Epidemie ausmacht, mindestens genauso gefährlich: soziale Medien und Presse. Die Redaktion sah sich genötigt, eine „Klarstellung“ zu schreiben. Eine „Einzelmeinung“, liebe Leute. Wir, die Mannschaft von Radio Eins, sind nicht so „zynisch“ wie diese Ärztin und wollen die Krise keinesfalls verharmlosen.
Was tun? Auf lange Sicht ist das nicht schwierig und genauso klar wie beim Gesundheitswesen oder im Handel. Weg von der kommerziellen Logik, die Aufmerksamkeit maximiert und sonst nichts, hin zu einem Journalismus, der die Informationen liefert, die wir brauchen, und deshalb anders organisiert sein muss, genossenschaftlich zum Beispiel. Für den Moment hilft das nicht. Aber vielleicht können wir ja auch über die Medien diskutieren, wenn die Redaktionen den nächsten Hype entdeckt haben.
Literatur
David Goeßmann: Wenn Regierungen lügen und Medien mitmachen. In: Jens Wernicke: Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung. Frankfurt am Main: Westend 2017, S. 29-45.
Marcus B. Klöckner: Sabotierte Wirklichkeit. Oder: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird. Frankfurt am Main: Westend 2019.
Michael Meyen: Theorie der Medialisierung. Eine Erwiderung auf Anna M. Theis-Berglmair. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 62. Jg. (2014), S. 645-655.
Michael Meyen: Breaking News. Die Welt im Ausnahmezustand. Wie die Medien uns regieren. Frankfurt am Main: Westend 2018.
Daten + Experten = Demokratie?
Rubikon, 18. März 2020, und ForDemocracy, 19. März 2020
Dieser Beitrag entstand auf Anregung von Jens Wernicke, Herausgeber der Plattform Rubikon, und ist dort unter dem Titel “Die Expertokratie” erschienen. Hier das Original, ergänzt um Literaturangaben.
Es gibt ein Buch von Jason Brennan, 2017 auf Deutsch erschienen, das ziemlich genau das fordert, was gerade geschieht. Eine Epistokratie, bitte. Die Herrschaft der Wissenden. Lasst die Experten nur machen, weil wir alle ohnehin nicht viel von der Welt verstehen. Dann wird dieser elende Streit der Ideen ein Ende haben, und alles wird endlich gut.
Dieses Buch war ein Bestseller und wurde vermutlich auch in den Staatskanzleien und Verwaltungen gelesen, die jetzt Ärzte in den Rang von politischen Göttern erheben und auf Daten und Kurven verweisen, wenn sie den Menschen fast alles nehmen, worauf unser Leben baut. Von Risiken und Nebenwirkungen hat Jason Brennan geschwiegen. Er musste davon schweigen, weil der Sachbuchmarkt eine steile These verlangt, gerade in den USA, und einen Titel, der zum Kauf anregt. „Gegen Demokratie“, hat Ullstein in Deutschland auf das Cover geschrieben. Ich habe mich damals darüber lustig gemacht, vor allem über den Glauben, dass wir in einer „Demokratie“ leben, weil man uns alle paar Jahre abstimmen lässt. Jetzt könnte jeder sehen, dass das immer noch besser ist als eine Herrschaft der Experten. Konkret: besser als das „Primat der Medizin“ (Markus Söder). Man muss nur die Augen aufmachen.
In den Leitmedien sieht man: volle Unterstützung für unsere Jungs und Mädels in der Regierung. So sagt das der Sprecher im Audi Dome, wenn der FC Bayern Basketball am Rand einer Niederlage steht, ohne die Mädels natürlich. Die Zuschauer sollen dann aufstehen und so viel Krach machen, dass das Spiel doch noch kippt. Um im Bild zu bleiben: In einer parlamentarischen Demokratie gibt es Auswärtsfans. Nicht viele, wenn die größten Teams einfach fusionieren, aber immerhin. Die Indexing-These von Lance Bennett, bestätigt in vielen Studien, sagt: Journalisten berichten über Konflikte in der Gesellschaft, aber, und dieses große Aber schränkt das Spektrum schon in sogenannten normalen Zeiten erheblich ein, aber die entsprechenden Ansichten müssen in der offiziellen politischen Debatte vorkommen, im Bundestag zum Beispiel. Was das Berlin der Parteien, der Abgeordneten und der Lobbyisten nicht diskutiert, erscheint nicht in den Medien, und was Politik oder Wirtschaft nicht vorkauen, kann der Journalist nicht verdauen.
Es ist nicht schwer, diesen Befund in die Gegenwart zu verlängern. Wo die Medizin regiert, gibt es keine parlamentarische Debatte und damit auch keinen öffentlichen Streit um die beste Lösung, nicht einmal den gedämpften einer eingehegten Wahldemokratie. Mehr noch: Der Journalismus dankt ab und lässt die Experten gleich selbst sprechen, Christian Drosten zum Beispiel, der mit seiner Forschungsgruppe an der Berliner Charité erst einen Corona-Test entwickelt hat und jetzt gleichzeitig zu Regierenden und Volk spricht. Dass ihn viele Redaktionen gewähren lassen und sogar noch feiern, erinnert an das, was Uwe Krüger (2016: 105), Medienforscher in Leipzig, nach dem Ukraine-Desaster 2014 „Verantwortungsverschwörung“ genannt hat: Der Journalist weiß, was gut ist und was schlecht (so ziemlich das gleiche, was die Herrschenden gut oder schlecht finden, weil alle ganz ähnlich aufgewachsen sind und zusammen studiert haben), und er glaubt, dass er Einfluss auf die Menschen hat. Also zur Solidarität aufrufen, die Tatkraft der Regierenden loben und im übrigen auf die „Fakten“ verweisen oder die Experten fragen. Wenn diese Experten gegen den Mainstream schwimmen (wie zum Beispiel Wolfgang Wodarg oder Karin Mölling), dann werden sie delegitimiert und nicht mehr angehört.
Anders als Jason Brennan ging Walter Lippmann (2018) nicht davon aus, dass wir Wähler kein Interesse an der Politik haben oder dass uns gar der nötige Verstand dafür fehlt. Lippmann wollte den Verstand manipulieren. Er wusste, dass wir auf Vorstellungen von der Welt reagieren und dass die Macht bei denen liegt, die diese Bilder produzieren. Lippmann hat schon vor fast einhundert Jahren eine Regierung der Experten empfohlen, eine Gesellschaft, in der Sozialforscher wie er die große „Herde“ führen. Sein Rezept, das so klingt, als sei es erst eine Woche alt: „Der Zugang zu der wirklichen Umwelt muss begrenzt werden, ehe jemand eine Pseudoumwelt errichten kann, die er für klug oder wünschenswert hält.“
Damit weg von den Medien und hin zu unserem Glauben an die Daten, an die „Pseudoumwelt“, die Experten wie Christian Drosten bauen. Im gleichen Jahr, in dem Jason Brennan „Gegen Demokratie“ angeschrieben hat, ist bei Suhrkamp ein Buch von Steffen Mau (2017) erschienen, einem Soziologen von der Humboldt-Uni, das den Megatrend der Quantifizierung des Sozialen auf eine griffige Formel gebracht hat: „Das metrische Wir“. Man muss diesen Trend kennen, wenn man verstehen will, warum alle Welt gerade auf den Newsticker starrt, der die Zahl der Infizierten und der Toten im Stundentakt aktualisiert und in bunten Diagrammen oder auf noch bunteren Karten Länder oder Regionen miteinander vergleicht, die man überhaupt nicht miteinander vergleichen kann.
Heute geht nichts mehr ohne Zahlen. Was nicht in Zahlen übersetzt werden kann, existiert nicht länger. In der Sprache des Soziologen Steffen Mau: Zahlen sind „zur Leitwährung der digitalisierten Gesellschaft geworden“. Zahlen versprechen „Präzision, Eineindeutigkeit, Vereinfachung, Nachprüfbarkeit und Neutralität“ (S. 26f.). Zahlen sind die Antwort auf unser Bedürfnis nach Sicherheit und Kontrolle. Zahlen haben das Bauchgefühl verdrängt, das uns sagt, was richtig ist, das Urteil, das abwägt und dabei auch um die Besonderheiten dieses einen Falles weiß, den Blick auf die Welt, der Komplexität und Ungewissheiten anerkennt. Die Ärzte sagen uns, wie viele Menschen krank sind, wie viele davon sterben werden und was wir alles tun müssen, damit die Betten auf den Intensivstationen reichen. Wir glauben ihnen, weil wir gewöhnt sind, die Welt durch die Brille von Zahlen zu sehen. Und die Regierenden folgen ihnen, weil sie uns kennen.
Nur: Eine Zahl ist eine Zahl und nicht die Realität. Das weiß jeder Wissenschaftler, der „im Feld“ war und selbst Daten erhoben hat. Was immer wir messen, wird sozial hergestellt. Menschen legen fest, dass sie Schritte zählen, um ihre Existenz zu legitimieren, und nicht Furze oder Rülpser (sorry). Menschen legen fest, nach welchem Virus sie suchen und was passieren muss, damit sie „Gefunden!“ rufen können. Hinter jeder Zahl steht ein Interesse, und sei es nur das eines Herstellers, der seine Geräte loswerden will. Daraus folgt immer: Es hätte auch anders sein können. Das klingt banal, ist es aber ganz offenkundig nicht. Sonst könnten wir gerade nicht beobachten, wie Zahlen alles umbauen, was wir bisher gekannt haben. Wir lernen: Zahlen sind nicht die Wirklichkeit. Sie erzeugen sie erst.
Wer Zahlen verkauft, egal ob Virologe oder Medienforscher, braucht das Vertrauen seiner Kunden. Er muss die Zweifel verwischen, die mit jeder Datenerhebung verbunden sind. Man muss kein Virologe sein (wohl aber eine gesunde Skepsis gegenüber allen Zahlen mitbringen), um diese Zweifel auszusprechen. Was bedeutet es, dass heute 12.000 Menschen mit einem bestimmten Virus infiziert sind, morgen 15.000 und übermorgen mehr als 20.000? Haben sich tatsächlich mehr Menschen angesteckt oder wird einfach mehr gemessen, in provisorischen Zelten zum Beispiel und bei Menschen, die sonst nie und nimmer zum Arzt gegangen wären, aber jetzt gar nicht anders können bei all dem sozialen und medialen Druck? Wann genau wird ein Test „positiv“? Genauer gefragt: Worauf haben sich die Erfinder des Tests hier geeinigt und was wäre, wenn sie sich anders entschieden hätten? Warum sterben in einem Land 0,5 Prozent der Infizierten und in einem anderen fünf Prozent? Liegt das vielleicht daran, dass man hier eher zufällig testet und dort nur die, die ohnehin schon im Krankenhaus liegen? Und ab wann wird man eigentlich ein Corona-Toter? Woher weiß der Arzt, was genau bei einem Menschen „mit Vorerkrankung“ zum Ende geführt hat?
Ganz unabhängig von solchen Zweifeln sind Zahlen nur dann etwas wert, wenn man sie einordnen kann. Die Wissenschaft lebt vom Vergleich. Niemand weiß, wie viele Menschen in den vergangenen Jahren das hatten, was wir „Grippe“ nennen, und wie viele daran gestorben sind. Eine „Grippe“ war längst so normal, dass wir trotzdem zur Arbeit gegangen sind und dort vielleicht an einem Herzinfarkt gestorben sind oder bei einem Autounfall, weil wir gerade niesen mussten, als die Ampel rot wurde.
Wer noch lebt, muss sich wehren gegen die Herrschaft der Experten und der Daten, den (hoffentlich noch) gesunden Menschenverstand einschalten und fragen, was es mit uns macht, wenn wir unsere Kolleginnen und Kollegen nicht mehr sehen dürfen (weder im Büro noch abends beim Bier), wenn Vater, Mutter, Kinder den ganzen Tag auf ein paar Quadratmetern zusammen sein müssen (wie sonst nur Weihnachten, wo es den meisten Familienkrach gibt) und wenn man uns die Fahrt in den Urlaub nimmt, den Ausflug, das Fitnessstudio. Virologen können das nicht wissen. Virologen wissen auch nicht, wie ein Land wieder zurückkommt auf Los und wie all das, was jetzt an Verboten, Kontrolle und Überwachung möglich geworden ist, erst zurückgeholt und dann aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden kann. Dafür gibt es weder Experten noch Daten.
Literatur
Jason Brennan: Gegen Demokratie. Warum wir die Politik nicht den Unvernünftigen überlassen dürfen. Berlin: Ullstein 2017.
Uwe Krüger: Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München: C.H. Beck 2016.
Walter Lippmann: Die öffentliche Meinung. Wie sie entsteht und manipuliert wird. Herausgegeben von Walter Otto Ötsch und Silja Graupe. Frankfurt am Main: Westend 2018.
Steffen Mau: Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen. Berlin: Suhrkamp 2017.
Kniefall vor der Wissenschaft
Medienrealität, 26. März 2020, und Rubikon, 27. März 2020
Patrick Illinger fällt vor der Wissenschaft auf die Knie. Das wäre kein Problem, wenn Illinger nicht das Wissenschaftsressort der Süddeutschen Zeitung leiten und dort Leitartikel schreiben würde. „Seriöse Wissenschaft hat keine andere Agenda als das Suchen und Überbringen möglichst fundierter Fakten“, steht dort heute. Genau das ist die Agenda. Und die SZ geht ihr auf den Leim.
Zeitunglesen geht im Moment schnell. Zwei Minuten, wie in der DDR. Einmal blättern und man weiß, dass sich die Regierungsmeinung nicht geändert hat und die Medienlogik auch nicht. Eigentlich habe ich dazu schon alles gesagt. Ich habe letzte Woche geschrieben, wie sich Journalismus und Politik gegenseitig hochgeschaukelt haben am Imperativ der Aufmerksamkeit und dadurch eine Realität geschaffen wurde, die man jetzt nicht einmal mehr zu dritt auf der Straße erörtern kann (vgl. Meyen 2020a). Das ist der Tod von Öffentlichkeit, die online nicht wiederbelebt werden kann, weil dort Stürme drohen und so die Zwischenstufen fehlen, die Encounter (Begegnungen im Bus, in der Kneipe, auf dem Büroflur) und Leitmedien zusammenbringen. Keine Versammlungen, keine Demos. Nicht einmal mehr Graffiti. Encounter sowieso nicht. Und damit keine Öffentlichkeit.
Ich habe letzte Woche auch über die Expertokratie geschrieben, die Patrick Illinger heute in der Süddeutschen Zeitung verteidigt, und über das, was aus einer Herrschaft der Wissenschaft für die Medien folgt (vgl. Meyen 2020b). Zitat: „Der Journalismus dankt ab und lässt die Experten gleich selbst sprechen“. Ich habe dort auch versucht zu erklären, warum Daten und Zahlen nicht mit der Realität zu verwechseln sind (vgl. Mau 2017). Noch ein Zitat: „Was immer wir messen, wird sozial hergestellt. Menschen legen fest, nach welchem Virus sie suchen und was passieren muss, damit sie ‚Gefunden!‘ rufen können. Hinter jeder Zahl steht ein Interesse, und sei es nur das eines Herstellers, der seine Geräte loswerden will. Daraus folgt immer: Es hätte auch anders sein können. Das klingt banal, ist es aber ganz offenkundig nicht. Sonst könnten wir gerade nicht beobachten, wie Zahlen alles umbauen, was wir bisher gekannt haben. Wir lernen: Zahlen sind nicht die Wirklichkeit. Sie erzeugen sie erst“.
Und damit endlich zu Patrick Illinger. „Wer jetzt vor einer Diktatur der Wissenschaft warnt“, heißt es in besagtem Leitartikel, „begeht einen Fehler. Es (sic!) macht die Wissenschaft zum Stakeholder, zur Interessengruppe, zu einer Strömung, der man sich widersetzen kann und vielleicht sollte. Doch das verwechselt den Boten mit der Botschaft“. Nein. Punkt eins: Es gibt keine Botschaft ohne Boten. Punkt zwei: Die Wissenschaft, die sich nur für die Wahrheit interessiert und für sonst nichts, ist eine Schimäre. Das „interessenlose Interesse“ oder das „Interesse an der Interessenlosigkeit“, die Idee, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die „uneigennützig“ und womöglich sogar „unentgeltlich“ arbeiten: Das ist die „illusio“ des akademischen Feldes (Bourdieu 1998: 27). Und Punkt drei: Dieses akademische Feld ist längst gekapert von den Imperativen der Wirtschaft (Geld!) und der Medien (Aufmerksamkeit!). Eigentlich sollte es deshalb selbstverständlich sein, stets die Strukturen zu hinterfragen, in denen Wissen (Illinger: „möglichst fundierte Fakten“) produziert wird. Eigentlich.
Der Reihe nach und etwas ausführlicher. Wissenschaft wird von Menschen gemacht. Menschen entscheiden, welche Fragen sie beantworten wollen (und damit auch, welche nicht beantwortet werden). Menschen entscheiden, welcher Weg zur Erkenntnis akzeptiert wird und welcher nicht und damit auch, auf welche „Fakten“ wir alle zugreifen können, wenn die Not groß ist. Die Wissenschaft ist dabei eine soziale Welt wie jedes andere Feld. Das heißt: Woran dort gearbeitet wird, hängt von der „Struktur der objektiven Beziehungen zwischen den Akteuren“ ab und vor allem davon, was am Machtpol gerade goutiert wird (Bourdieu 1998: 20). Welche Themen versprechen Verträge, die über das Jahresende hinausgehen, mit welchen Methoden muss ich forschen, um am Ende eine Professur zu bekommen oder gar den Chefposten in einem großen Institut?
Das ist die erste Agenda, noch ganz ohne den Einfluss von Drittmitteln und ohne die Gier nach Prominenz oder wenigstens nach öffentlicher (medialer) Legitimation: Wissenschaftler sind Menschen und wollen (wie alle anderen auch) ihre Position verbessern. Sie wollen, dass ihre Fragen wichtiger werden und die Mittel, mit denen sie nach einer Antwort suchen. Das gilt innerhalb einzelner Disziplinen (etwa: in der Medizin) genauso wie im akademischen Feld insgesamt. Virologie gegen Soziologie gegen Geschichte. Kurz vor Corona hatte die bayerische Regierung Unsummen für die Big-Data-Forschung angekündigt. Ein Füllhorn für die Universitäten, um der „künstlichen Intelligenz“ auf die Spur zu kommen. Mal schauen, was davon jetzt übrigbleibt.
Das führt direkt zur zweiten Agenda, die gar nicht mehr verborgen werden muss, weil die Position im akademischen Feld inzwischen auch vom Medienecho abhängt und noch stärker davon, wie viel Geld von außen eingeworben wird. Wurden Wissenschaftler noch vor zwei oder drei Dekaden als Feuilletonforscher belächelt, wenn sie allzu oft auf der Mattscheibe zu sehen waren oder in der Presse, ist öffentliche Präsenz inzwischen ein Muss für alle großen Fördereinrichtungen und damit auch für die Reputation im Feld. Man darf Christian Drosten (nur als Beispiel) nicht verübeln, dass er einen Elfmeter schießt, wenn „koan Neuer“ zu sehen ist. Man muss nur wissen, dass ihm dieses Tor hilft, das Spiel im akademischen Feld zu gewinnen.
Das sagt noch nichts gegen den Inhalt (Virologie und Epidemiologie werden auf anderen Blogs verhandelt), wohl aber etwas gegen jeden blinden Glauben an alles, was uns Menschen in weißen Kitteln erzählen. Patrick Illinger hat Physik studiert und am Cern in der Schweiz promoviert – am Machtpol des wissenschaftlichen Feldes, wo der Wunsch besonders ausgeprägt ist, die Welt „da draußen“ möge an das „interessenlose Interesse“ der Forscher glauben. Die „klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes“ von Pierre Bourdieu (1998), die ich gerade skizziert habe, stößt dort auf Ablehnung und Widerstand, weil sich die „illusio“ in den Habitus eingebrannt hat. Patrick Illinger ist aber kein Wissenschaftler mehr, sondern ein Journalist. PR ist in diesem Feld eigentlich tabu.
Literatur
Pierre Bourdieu: Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes. Konstanz: UVK 1998.
Steffen Mau: Das metrische Wir. Über die Quantifizierung des Sozialen. Berlin: Suhrkamp 2017.
Michael Meyen: Die Medien-Epidemie. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2020a.
Michael Meyen: Daten + Experten = Demokratie? In: Bayerischer Forschungsverbund „Die Zukunft der Demokratie“ (Hrsg.): ForDemocracy 2020b.
Die Maske, Hans-Jürgen Papier und Juli Zeh
Medienrealität, 5. April 2020
Die Medienforschung erwacht aus der Corona-Starre. Stephan Russ-Mohl sucht per Rundmail Beiträge (“möglichst” empirisch unterfüttert), die sagen, was der Journalismus bisher gut gemacht hat und was eher schlecht. Vielleicht findet er dabei sogar diesen Blog. Nach viel Kritik (vgl. Gordeeva 2020 sowie Meyen 2020a und 2020b) gibt es hier heute ein Lob für die SZ.
Vorbemerkung eins: Was Otfried Jarren vor einer Woche über das “Systemmedium” Fernsehen geschrieben hat und über die “besondere Form der Hofberichterstattung” beim NDR, war gut und richtig. Das ist das, was eine akademische Disziplin machen muss, die sich als öffentliche Wissenschaft versteht. An den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erinnern, Qualität einfordern, Standards nennen. Der diskursive Kampf um Deutungshoheit wird auch in den Redaktionen ausgetragen. Wer dort den “Auftrag Öffentlichkeit” ernst nimmt, braucht gerade dann Argumente aus der Wissenschaft, wenn der Druck aus Politik und Behörden ins Unermessliche steigt und der Zugang zu alternativen Stimmen und Quellen verbaut ist.
Vorbemerkung zwei: Auch das, was zum Beispiel Hektor Haarkötter oder Daria Gordeeva geschrieben haben, kann dort helfen. Ein Ja zum Watchdog und ein Ja zum Nachfragen, gerade bei dem “Zahlenkonfetti” (Mathias Bröckers), den die Herrschenden uns täglich über die Leitmedien servieren.
Vorbemerkung drei (dann geht es endlich los): Ich war drauf und dran, einen Text mit der Überschrift “Süddeutsche Staatszeitung” zu schreiben. Auch SZ, aber anders. Am Rockzipfel von Markus Söder und auf dem Schoß von Angela Merkel, wie Nico Fried, der in seiner Seite-3-Geschichte zur großen TV-Ansprache auf die Minute wusste, wann der Stick aus dem PC gezogen wurde, und Verständnis für eine Kanzlerin hatte, die immer noch nicht jedes Bild der Tagesschau kontrollieren kann, obwohl das doch so wichtig wäre (Achtung: Bezahlschranke). Herrjemine.
Ich bin froh, dass ich diesen Text nicht geschrieben habe. Der Titel wäre schon vor zwei Wochen nicht ganz richtig gewesen. Recht und Verhältnismäßigkeit bei Heribert Prantl, immer wieder, oder (sehr früh) ein Gastbeitrag von René Schlott, einem Historiker, der in der SZ fragt, ob “die offene Gesellschaft erwürgt” werden darf, “um sie zu retten”, dann auch in anderen Medien zu Wort kommt und inzwischen auf Twitter die Initiative “Grundgesetz a casa” betreibt.
Manchmal hat der Forscher Glück. Manchmal lässt sich das, was Ulrich Beck (2017) als Kampf um Definitionsmacht beschrieben hat, an einer einzigen Journalistin festmachen. Dienstag war sich Christina Berndt in der SZ sicher: “Die Maske ist Pflicht, für alle!” Wer mittags auf die Seite ging, fand das dort als Aufmacher. Zitat: “Lebensretter dürfen gern ein bisschen blöd aussehen”. Wenn man so will: ein Kommentar zu Österreich und ein Hinweis an die Staatskanzlei. Tut was, schon wieder, obwohl noch niemand überprüfen konnte, ob das geholfen hat, was bisher getan wurde. Egal. Zwei Wochen sind einfach zu lang für einen Journalismus, der von Klickzahlen lebt. Am Mittwoch veröffentlicht Christina Berndt ein Interview mit einer Ärztin, Béatrice Grabein, die ziemlich deutlich ‘Blödsinn’ sagt (mit anderen Worten, versteht sich, wir sind bei der SZ), und Werner Bartens sammelt Pro- und Contra-Argumente mit dem gleichen Tenor.
Ich weiß nicht, ob die Ärztin bei Frau Berndt angerufen hat, aber das ist auch egal. Mit einem Tag Verspätung bekomme ich alles, was ich wissen muss, um mir eine Meinung bilden zu können. Das ist das, was Journalismus leisten muss.
Dieses Lob gilt erst recht für die SZ-Interviews mit Hans-Jürgen Papier und Juli Zeh. Eigentlich ist das natürlich eine Selbstverständlichkeit: Menschen zu Wort kommen lassen, die etwas zu sagen haben, und dabei das Spektrum so weit wie möglich ausreizen. Aber was ist schon selbstverständlich in einer Krise, in der “eine eskalierende Medienberichterstattung die Öffentlichkeit und die Politik vor sich her treibt” (Juli Zeh).
Ich muss hier nicht alles wiederholen, was Papier und Zeh gesagt haben. Bei beiden geht es um die Grundrechte, beide verwenden das Wort “Dilemma” und beide zeigen, wie vertrackt die Lage ist, in die sich die Bundesregierung manövriert hat. Gewaltenteilung? Schwierig in diesen Zeiten, sagt Hans-Jürgen Papier. “Ich kann mir schon vorstellen, dass ein Richter sagt: Ich kann nicht die Verantwortung dafür übernehmen, den Schutz von Leben und Gesundheit hintanzustellen, selbst wenn die Freiheit der Person sehr wichtig ist. Der Richter sieht sich ebenso wie die Politik und Exekutive mit den genannten Ungewissheiten über Art und Ausmaß der Gefahren sowie die Eignung und Notwendigkeit der Mittel konfrontiert”.
Juli Zeh, auch Verfassungsrichterin (ehrenamtlich, in Brandenburg), sagt das noch deutlicher. Ein paar Zitate für die, die an der Bezahlschranke scheitern, und für mich selbst, damit ich das irgendwann leichter zitieren kann:
- “Demokratische Politik darf auch in Krisenzeiten nicht nur den Vorgaben von einzelnen Beratern folgen und sagen, jetzt läuft hier alles aus dem Ruder, und deshalb müssen wir drakonisch in die Bürgerrechte eingreifen. Da werden wir, wenn die Krise abflaut, eine Menge aufzuarbeiten haben.”
- “Vor allem die Bestrafungstaktik ist bedenklich. Im Grunde schüchtert man die Bevölkerung ein, in der Hoffnung, sie auf diese Weise zum Einhalten der Notstandsregeln zu bringen. Die Ansage lautet sinngemäß: Wenn ihr nicht tut, was wir von euch verlangen, seid ihr schuld an einer weiteren Ausbreitung des Virus und an vielen Toten in den Risikogruppen! Bei einigen Menschen führt das zu Trotz und Widerstand, bei anderen zu Verängstigung und regressivem Verhalten. Beides vergiftet die gesellschaftliche Stimmung. Aus meiner Sicht stellt es immer eine Form von Politikversagen dar, wenn versucht wird, die Bürger mit Schuldgefühlen unter Druck zu setzen.”
- “Unsere Verfassung verlangt, dass bei Grundrechtseingriffen immer das mildest mögliche Mittel gewählt wird. Auch bei der Abwendung von Gefahren gilt nicht “viel hilft viel”, sondern: so viel wie nötig, so wenig wie möglich. Ansonsten fehlt es an der Verhältnismäßigkeit, und eine Maßnahme ist dann unter Umständen verfassungswidrig. Das erfordert also, dass man ernsthaft diskutiert, welche Vorgehen tatsächlich sinnvoll sind und welches davon am mildesten wäre. Dabei hätte ein wissenschaftlich fundierter Diskurs aller medizinischer Fachrichtungen zum Beispiel mittels einer Ad-hoc-Kommission helfen können. (…) Ein ernsthafter Diskurs kann auch unter Zeitdruck stattfinden, das muss nicht Monate dauern. In einer Demokratie darf man sich die Möglichkeit dazu nicht nehmen lassen. Erst einmal die Faktenlage so weit wie möglich zu klären und öffentlich zu machen, trägt zu sachlicher Klarheit und besseren Entscheidungen bei, es erhöht aber auch die Transparenz und damit die demokratische Legitimität.”
- “Mich macht es betroffen, dass in so schwierigen Zeiten viele Politiker wenig Rückgrat beweisen. Ich glaube noch nicht einmal, dass das Motiv der deutschen Politiker Machthunger ist. Mir scheint, es herrscht eher die Angst, man könnte ihnen später vorwerfen, dass sie zu wenig getan haben. Also überbietet man sich lieber gegenseitig beim Vorschlagen immer neuer drakonischer Verordnungen und versucht zu punkten, indem man sich als starker Anführer aufspielt. Dabei entsteht aber in meinen Augen kein Eindruck von Stärke, sondern von ziemlicher Kopflosigkeit.”
- “Wir wissen aus Erfahrung, wie gefährlich Angstmechanismen sind. Deshalb würde ich von verantwortlicher Politik und auch von verantwortlichen Medien verlangen, dass sie niemals Angst zu ihrem Werkzeug machen.”
Ich nehme an: Das wird am Montag nicht nur in der Onlinekonferenz der SZ besprochen. Ein Dank an Juli Zeh und ein Dank an Jan Heidtmann, der das Interview geführt hat. Vielleicht läuft ja im Hintergrund längst ein Kurs, der Nachrichtenredakteuren hilft, die Wirklichkeit im “Zahlenkonfetti” zu sehen. Datenerhebung, Einordnung, sprachliche Präzision (vgl. Meyen 2020c). Die Hoffnung jedenfalls hat sich noch nicht infiziert und stirbt bekanntlich ohnehin zuletzt.
Literatur
Ulrich Beck: Die Metamorphose der Welt. Berlin: Suhrkamp 2017.
Daria Gordeeva: Wenn Watchdogs schlafen. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2020.
Michael Meyen: Die Medien-Epidemie. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2020a.
Michael Meyen: Kniefall vor der Wissenschaft. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medienrealität 2020b.
Michael Meyen: Daten + Experten = Demokratie? In: Bayerischer Forschungsverbund „Die Zukunft der Demokratie“ (Hrsg.): ForDemocracy 2020c.