Ѕсhοn lаnɡе аbtrünnіɡ ‐ аbеr ԝаruⅿ?
Kürzlich war ich in einem Zoom-Gespräch mit jemand, der sich seit Jahrzehnten mit nachhaltigem Leben beschäftigt und eine Gemeinschaft darum herum aufgebaut hat. “Ich finde es einfacher mit Leuten auf der Rechten zu reden. Sie sind offener.” Und dann, sinngemäß: “Wenn man bei den Linken etwas sagt, dass nicht ins Konzept passt, weisen sie es sofort reflexhaft zurück.”
Dies ist jemand, der aus einer Arbeiterstadt kommt, zu viel Macht bei den Großkonzernen sieht und auch dem Staat skeptisch gegenüber steht. Dinge, die ich als traditionell links einschätzen würde.
Auch wenn es oft so aussieht, als habe diese Einteilung keinen Sinn mehr, verwenden wir die Begriffe Links und Rechts immer noch - hauptsächlich entlang der traditionellen Parteilinien. In Deutschland SPD, Grüne und die Linken (das BSW ist aussortiert). In Großbritannien Labour. In den USA die Demokraten.
Warum klingt für mich die eingangs erwähnte Einschätzung so wahr? Ich möchte den Schwierigkeiten auf den Grund gehen, die ich mit jener Gruppierung habe, der ich mich einmal hundertprozentig zugehörig fühlte.
Die Seite der Guten
Es scheint immer einen eindeutigen Weg zu geben. Es gibt die eine vernünftige Ansicht. Diese reflektiert eine simple, auf einen Punkt gebrachte Wahrheit. “Wenn ein Land angegriffen wird, muss es sich verteidigen dürfen.” Das ist unanfechtbar. Genauso wie “jeder Mensch der wegen Covid stirbt, ist einer zuviel.”
Zusätzliche, potenziell relevante Informationen interessieren ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Die Frage, “wie kann dieser Konflikt möglichst schnell beendet werden?”, taucht so gut wie nicht auf. Die Rollen sind eindeutig. Der Agressor stellt das absolute Böse dar, trägt die Alleinschuld und ist wahlweise verrückt oder von imperialen Lüsten getrieben, wahrscheinlich beides.
Wenn dies alles so eindeutig war, fragt man sich, warum Menschen, die dem Geschehen einfach mehr Kontext geben wollten — wäre es nicht gut, mehr Kontext zu einem Konflikt zu wissen, um besser damit umgehen zu können? — jedwede Plattform genommen wurde. (1) Sie wurden zudem mit Etiketten belegt, die es rechtfertigten, ihnen — falls doch einmal ein Video zu jemandem durchdrang — einfach nicht zuzuhören. Wenn alles so eindeutig war, warum sich dann nicht sachlich mit den Argumenten befassen?
Selbst wenn man am Ende zu der Meinung gelangte, der Ukraine sollten auf Dauer Waffen geliefert werden — ist es nicht trotzdem eine wissenswerte Information, dass es in Istanbul schon im März 2022 Friedensverhandlungen gab, die sehr weit fortgeschritten waren, als Selenskyj von UK und USA nahegelegt wurde, weiterzukämpfen (”wir werden dich unterstützen”).
Was mich am meisten perplex macht, ist, wie leichtfertig mit dem Krieg umgegangen wird. Wie schnell man auf der Seite gelandet ist, die am ehesten eine lange Dauer des Krieges bedeutet, und maximalen Profit für die Rüstungsindustrie. (2) “Putin hat angefangen und ist alleinig schuld, und nun muss man ihn maximal bekämpfen”, trumpft hier über die Möglichkeit, an diplomatische Wege auch nur zu denken.
Wäre dies vor 20 Jahren auch so gewesen. Vor 40 Jahren? In der Schule sangen wir viele Male Where have all the flowers gone? (tatsächlich auf englisch), und es berührte mich immer sehr. Im Radio war Bruce Springsteen mit War zu hören und Paul Hardcastles Nineteen. All das scheint nun vergessen.
Und selbst wenn es ein langgehegter Plan Putins war, in die Ukraine einzufallen und sich Teile von ihr anzueignen: Warum hat man ihm dann so bereitwillig einen Anlass gegeben? Warum ihm etwas geliefert, das, wenn es nie eine wirkliche Rechtfertigung sein kann, sich doch von ihm so interpretieren lässt? (3) Mit anderen Worten: Wenn man sich etwas mit der Vorgeschichte beschäftigt, erscheint dieser Krieg durch ein anderes Verhalten der USA absolut vermeidbar gewesen zu sein.
Stattdessen unterstützte man die Ukraine darin, “unsere Werte” zu verteidigen, und sah “die westlichen Demokratien” bedroht. Wie weit es mit der amerikanischen Demokratie her ist, das lässt sich jetzt mit dem Amtsantritt Trumps sehen.
Hier ist nun die progressiv-liberale Welt in Aufregung. Und übersieht dabei leicht, dass unter den Demokraten, besonders Obama, die Grundlagen für weitreichende Zensur und Manipulation der öffentlichen Meinung gelegt wurden. Deren Effekte waren deutlich sichtbar für jeden, der mit dem Corona-Regime nicht konform ging, auch über den großen Teich hinweg.
Warum ich mich nicht wohlfühle: Weil ich das Gefühl habe, dass man, aus dem Bedürfnis heraus, moralisch und gut zu sein, sich ein zweites Mal in etwas verrannt hat, das verhehrende Konsequenzen hat. Beziehungsweise mochte man beim ersten Mal schon nicht die Fehleinschätzung sehen, und macht auf eine ähnliche Weise weiter. Beidesmal mit einer Kriegslogik, bei der es gilt einen Feind vernichtend zu schlagen, wobei man ungeheure “kollaterale” Schäden vernachlässigt.
Die Demokraten als reaktive Kraft
Der angefangene Artikel sitzt hier schon eine Weile, und es gibt so viele Wege ihn weiterzuführen. — Mein ursprünglicher Plan umfasste so viele Themen, dass ich sie auf weitere Texte aufteilen muss.
Auch sind schon weitere ungeheuerliche Ereignisse geschehen. Die Trump-Administration nimmt nun wirklich faschistische Züge an, mit der Internierung eines Anführers von pro-palästinensischen Studentenprotesten, Mahmoud Khalil, und der Deportation von über 200 angeblichen venezuelanischen Gang-Mitgliedern nach El Salvador, in ein Sicherheitsgefängnis. Das ganze erscheint wie ein Riesenspektakel, es gibt mit Musik unterlegte Videos dazu, die an Werbefilme erinnern. Hier wird etwas vorgeführt. Einfach Macht? Boshaftigkeit, Häme? Der Rechtsstaat, welcher schon lange nicht mehr wirklich funktioniert, wird ausgehebelt.
Ab und zu taucht ein Podcast auf, der mich staunen macht und beeindruckt, weil er die gewohnten Einteilungen sprengt und gleichzeitig viele Wahrheiten ausspricht.
Link zum Podcast: https://jaredyatessexton.substack.com/p/we-are-in-the-crisis-a-conversation
Hier ist eine Frau, Danielle Moodie, die zu Trumps erster Amtszeit einen Radiosender namens Woke AF gegründet hat, im Gespräch mit dem Autor Jared Sexton, der neben Büchern einen Substack namens Notes from a collapsing state schreibt. Sie sprechen die oben erwähnten Ereignisse an, und erinnern ob der geringen Opposition an Martin Niemöllers “Als die Nazis die Kommunisten holten…”
Große Teile sind dann, besonders in der zweiten Hälfte, eine gnadenlose Abrechnung mit den Demokraten. Diesen geht es den beiden zufolge eher darum, den Aktienmarkt am Laufen zu halten, als etwas für benachteiligte Bürger zu tun. Die angebliche Unterstützung von Minderheiten (Wagen bei der Pride Parade, Kniefall etc.) seien immer nur Augenwischerei gewesen.
Moodie ruft einmal aus, was immer wieder passiere, sei: “Democrats don’t lose the plot, they don’t even know where the fuck it is.” Und Sexton bemerkt einmal, dass die Opposition eher ein Gegengewicht sei, das dafür sorgen soll, dass die Dinge so weiterlaufen wie bisher. “Die demokratische Partei ist reaktiv und konservativ geworden und hat keine Vision zur Lösung irgendwelcher Probleme.”
Sie sprechen auch noch einige andere Dinge an: Wie notwendig es ist, dezentralisiert zu agieren, und dass man Dinge anfangen soll, auch wenn man selber die Ergebnisse nicht mehr sehen wird. Und einiges andere mehr.
Nicht nur aus diesem Podcast, auch vielen anderen, und Artikeln, wird sichtbar, dass die Demokraten — wie die “Linken” in vielen anderen Ländern — ihre Anhänger vor allem in der Mittelklasse, der “professioal-managerial class” haben, und es – vielleicht oft unbewusst – mehr darum geht, den erreichten Status zu erhalten, als sich wirklich um soziale Belange zu kümmern.
Mit den Russen im Bett
Eine weitere interessante Publikation auf die ich neulich gestoßen bin, von einem nach Amerika ausgewanderten russischen Paar: Nefarious Russians (ruchlose Russen). Der Podcast dazu heißt In Bed with the Russians. Es geht dabei sehr viel um die kulturelle Seite, aber nicht nur.
Was ich sehr interessant fand, ist die Einschätzung Evgenias, die in den 90er Jahren in Russland aufgewachsen ist. Kurz zusammengefasst, dass das Land, oder zumindest Moskau, von der amerikanischen Kultur kolonisiert wurde. Ihre Freunde machten irgendwann gut Karriere, und sie war anfangs begeistert, wie sich alles entwickelte. Die Freunde selber sahen das aber anscheindend nicht so, sondern blickten immer mit Sehnsucht nach Amerika, dass sie sich als viel besser vorstellten. Irgendwann wurde Evgenia klar, dass die russische Kultur eigentlich zu einer schlechte Kopie der amerikanischen geworden war. — Das ist verkürzt wiedergegeben und ich hoffe nicht zu verzerrt.
Zu Putin: Die Vorstellung, er wolle die Sowjetunion wiedererschaffen, sei grundfalsch. Er und seine Führungsriege würden viel mehr das vorrevolutionäre Russland wiedererstehen lassen wollen.
Ob die NATO-Osterweiterung eine Rolle bei dem Einmarsch in die Ukraine gespielt hat, dazu habe ich nichts gefunden. Die Autoren sind aber definitiv weder Trump- noch Putinfreunde.
Interessant sind Erzählungen von “weaponized immigrants”, also ehemaligen Sowjetbürgern, die dann gleich zu Propganda-Zwecken gegen ihre alte Heimat benutzt wurden.
Da ich bei gebürtigen Russen bin, möchte ich auch noch Tessa Lena erwähnen, die für mich eine der wichtigsten Autorinnen in der Covid-Zeit war, und schon im April 2020 die damit einhergehende Technokratie durchschaut hat. Ich bin ihr sehr dankbar.
Ich habe über den Konflikt mit Russland geschrieben, weil dieser gerade aktuell ist und Anlass zu Kriegspropaganda bietet. Dass Russland kurz vor den Toren Deutschlands stehen soll, dafür habe ich keine Begründung gefunden.
Mein Fazit zur ehemaligen Linken — eine Kraft, die ihre früheren Ideale vergessen hat, sich in Solidaritätsbekundungen ergeht, und ansonsten eher mit dem Erhalt des Status quo beschäftigt ist, als dem Staat Zugeständnisse abzuringen. Die auf Klimaschutz drängt, aber für einen der größten CO2-Ausstoßer, das Militär, eine Ausnahme macht, was aber nicht einmal thematisiert wird.
Vielleicht ist es wirklich einfach überholt, in diesen Kategorien zu denken. Ich fühle mich jedenfalls keiner Richtung mehr zugehörig.
Entscheidend ist, Verbündete zu finden, egal, aus welcher Richtung sie kommen. Unterstützende Strukturen aufbauen außerhalb der Politik. Der “Commons” (Allmende) ist hier eine gute Idee, und ich möchte in Zukunft mehr darüber schreiben. Für diesesmal bin ich bei der globalen Politik gelandet und hängengeblieben, und letztlich beeinflusst sie auch, was lokal geschieht. Wichtig ist, wie immer, die Balance.
(1): Hier denke ich vor allem an Gabriele Krone-Schmalz, die in mehreren Vorträgen fundierte Analysen geliefert hat
(2): Antje Vollmer hat kurz vor ihrem Tod eindrücklich über Aufrüstung und den Wandel der Grünen zur Kriegspartei geschrieben: https://epaper.berliner-zeitung.de/article/ea77236b6b434f4d5fc01cace486274626d2c168ae5896b667f2d021d2ced5ce
(3): Die Kommentare zu diesem Artikel zeigen, wie man eine offene und respektvolle Diskussion haben kann. Hier kommen Menschen von Balkanstaaten zu Wort, die sich gegen die Darstellung wehren, die Revolutionen in den ehemaligen Soviet-Republiken seien immer von den USA gesteuert. https://iainmcgilchrist.substack.com/p/laughter-in-heaven
Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben.