Der Krieg in unseren Köpfen (Teil 1/2)

Ein Essay über die kriegstüchtige Propaganda bei fast allen politischen Themen – von Norbert Häring.

Autor: Norbert Häring. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier. Die neuesten Pareto-Artikel finden Sie auch in unserem Telegram-Kanal.


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Die erfolgreiche Einstimmung der Bevölkerung auf Krieg hat eine gemeinsame Basis mit der breiten Akzeptanz der Corona- und Klima-Maßnahmen und der Verlotterung der parlamentarischen Sitten: unsere Bereitschaft, Politik als Kampf gegen einen Feind, gegen das Böse, zu verstehen – egal ob der Feind Covid, CO2, AfD, Putin oder Habeck heißt.

Die Corona-Maßnahmen sollten ein Gesundheitsproblem „bekämpfen“. Der Umgang mit dem Problem war von Anfang an geradezu militant eindimensional. Der Feind war ein Virus. Er wurde in seiner Gefährlichkeit und Bösartigkeit so weit überhöht, dass kein Mittel zu radikal, kein Opfer zu groß erschien, wenn es helfen konnte, den Feind zu eliminieren. Wer auf weitere Ursachen des Problems hinwies, wie Mängel des Gesundheitssystems und geschwächte Abwehrkräfte, und Maßnahmen vorschlug, die auf die Behebung dieser Ursachen abzielten, wurde fast ebenso entschlossen bekämpft wie das Virus. Dass man einen Atemwegsvirus nach aller bisheriger Erfahrung gar nicht eliminieren kann, spielte keine Rolle. Auch diesen Gedanken zu äußern, grenzte an Gotteslästerung.

Die Klima-Maßnahmen, von der drastischen Verteuerung der Energie für Haushalte, Industrie und Handwerk, über Förderung der Elektromobilität und Verbrennerverbot bis zum Verbot, eine neue Gasheizung einzubauen, richten sich gegen den Bösewicht Kohlendioxid. Auch hier ist der Umgang mit dem Problem militant eindimensional. Wer am Dogma zweifelt, dass allein das CO2 an der Klimaerwärmung schuld ist, wird als „Klimaleugner“ mitbekämpft. Auch hier wird die Gefährlichkeit des Feindes so stark dramatisiert, dass radikalste Maßnahmen und größte Opfer gerechtfertigt werden können. Dem drohenden Untergang der menschlichen Rasse steht – im Fall eines erfolgreichen Kampfes – die Verheißung gegenüber, dass wir das Klima unter Kontrolle gebracht haben werden.

Dass der Mensch offenkundig mindestens in den nächsten 100 Jahren nicht in der Lage sein wird, das Weltklima zu kontrollieren, spielt keine Rolle. Auch dass in der Vergangenheit CO2 offenkundig nicht der alleinige Treiber von massiven Klimaveränderungen war, darf keine Rolle spielen. Wer darauf hinweist, dass die vordergründig CO2-vermindernden Maßnahmen in einem auf MEHR geeichten, hyperglobalisiert-kapitalistischen Wirtschaftssystem nicht zum gewünschten Erfolg führen können, wenn sich am System nichts ändert, dem hilft selbst ein fester Glaube an das Klimanarrativ nicht. Er wird ignoriert oder bekämpft.

Auch der „Kampf“ gegen „Rechts“ speist sich aus dem Bedürfnis nach einem als extern gedachten Feind, den man mit Mitteln des Kampfes besiegen kann. So böse ist der Feind und so schlimm wäre eine Niederlage, dass fast jedes Mittel recht ist, um ihn zu besiegen und das Problem damit vermeintlich zu beseitigen. Da werden Wahlen annulliert und aussichtsreiche Kandidaten juristisch verfolgt, um ihnen die Möglichkeit der Kandidatur zu entziehen. Althergebrachte parlamentarische Gepflogenheiten werden missachtet oder zielgerichtet geändert, damit der Feind nicht normal am parlamentarischen Betrieb teilhaben kann und dabei vielleicht seinen bedrohlichen Charakter verlieren könnte.

Das Böse kommt von außen

Keine Rolle spielen darf dabei, dass der politische Gegner offenkundig kein außenstehender Feind ist, der mit einem Kampf bis aufs Messer beseitigt werden kann. Die AfD ist in Deutschland auf dem Weg zur Partei mit dem größten Rückhalt unter den Wählern. Ganz offenkundig würden die Probleme, die hierzu geführt haben, nicht weggehen, wenn man die AfD verbieten würde oder sonstwie von der Erdoberfläche schubsen könnte. Hätte der juristische Feldzug gegen Donald Trump diesen als Präsident verhindert, hätte dies nichts daran geändert, dass eine Mehrheit der US-Amerikaner so enttäuscht von der bisherigen Politik ist, dass sie sich einen wie Donald Trump wünscht. Gleiches gilt für die Franzosen, wenn Marine Le Pen mit juristischen Mitteln an einer Präsidentschaftskandidatur gehindert werden sollte.

Donald Trump beweist seit seiner Machtübernahme sehr nachdrücklich, dass unterkomplexes Denken in Freund und Feind, Gut und Böse, zur Rechtfertigung radikaler Maßnahmen keinesfalls nur eine Schwäche der Linken ist. Man muss durchaus ähnliches auch in Deutschland befürchten, wenn die AfD an die Macht kommen sollte.

Wladimir Putin und Russland eignen sich nur vordergründig besser als externer Feind, den man bekämpfen kann. Selbst wenn Putin gewaltsam beseitigt werden würde, so wie der libysche Präsident Muammar al-Gaddafi oder der irakische Präsident Saddam Hussein: Russland und die Russen kann man ebenso wenig von der Erdoberfläche schubsen wie Libyen und die Libyer oder Irak und die Iraker. Die Welt ist durch die Siege der vermeintlich Guten über die vermeintlichen Teufel Gaddafi und Hussein – nicht wie verheißen – zu einem besseren Ort geworden, sondern für viele Millionen Menschen zu einem viel schlechteren. Das betrifft auch uns vermeintliche Sieger in diesem Kampf gegen das Böse, die wir nun mit Millionen Flüchtlingen zu tun haben, die aus Irak und Syrien oder über Libyen zu uns gekommen sind.

Dass die Erzählung von der akuten Bedrohung des Westens durch Russland, gegen die wir uns durch massive Aufrüstung und gesamtgesellschaftliche Kriegsbereitschaft verteidigen müssen, eine Mär ist, sollte jedem offensichtlich sein, der die Militärausgaben von Russland und der NATO oder auch nur der EU vergleicht und sich die Geschichten vergegenwärtigt, die uns über die strategischen Schwächen und den Mangel an Soldaten und Material der Russen im Krieg gegen die Ukraine erzählt wurden. Wollen wir wirklich glauben, dass ein Land, das in jahrelangem, verlustreichem Krieg nur mit Ach und Krach ein viel kleineres Nachbarland niederringen kann, darauf brennt und sich darauf vorbereitet, einen viel größeren, in fast jeder Hinsicht überlegenen Militärblock anzugreifen?

Aber wie bei Corona, beim CO2 und bei der AfD verfängt die Erzählung vom brandgefährlichen externen Feind, der mit allen Mitteln zu besiegen ist, damit alles wieder gut wird. Zu groß ist unsere Bereitschaft, Politik als Vernichtungskampf gegen externe Feinde aufzufassen, statt als kooperativ-kompetitives Spiel, bei dem das Ziel nicht sein kann, den Gegner zu vernichten, sondern vorläufige Siege zu erringen, die die Welt und die eigene Lage nach eigenem Dafürhalten besser machen. Die falsche Verheißung, dass das Spiel zu Ende sei, wenn ein Virus besiegt, ein CO2-Ziel erreicht oder eine bestimmte Partei oder ein bestimmter Politiker unschädlich gemacht ist, hat in einer solchen, viel realistischeren Sichtweise keinen Platz. Dasselbe gilt in der Geopolitik. Zu viele Bösewichte und Teufel sind schon ausgerufen und vernichtet worden, zu viele feindliche Länder besiegt worden, nur um von den nächsten Bösewichten, den nächsten feindlichen Ländern oder einfach nur von der Gesetzlosigkeit und dem Chaos abgelöst zu werden.


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Die Instrumentalisierung der Angst

Die Angst vor externen Feinden ist durchaus rational. Die Menschheitsgeschichte hat uns über tausende Generationen beigebracht, den Angehörigen der eigenen Sippe zu trauen und Fremden gegenüber misstrauisch zu sein. Denn diese könnten die eigene Sippe überfallen wollen. Sie hat auch den Anführern beigebracht, dass sie diese Furcht für sich instrumentalisieren können, wenn ihnen entweder die Kontrolle zu entgleiten droht oder sie ihre Kontrolle über die Gemeinschaft auf eine höhere Stufe heben wollen. Dann genügt es, dem Volk eine äußere Bedrohung einzureden oder einen Missstand Bösewichten zuzuschreiben, und schon versammelt es sich hinter den Anführern. Kritiker werden dann zu Vaterlandsverrätern, die mit zu bekämpfen sind, wenn das Böse nicht siegen soll.

In den Hintergrund treten dagegen die Sorgen und Ängste der Menschen, um die sich die Regierenden entweder nicht kümmern wollen, oder nicht können. Die alle zwei Jahre durchgeführte IPSOS-Umfrage „What worries the world?“ zeigt, wie das funktioniert. 2021 verdrängte die Angst vor dem Coronavirus weltweit die Sorgen über Arbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit, Korruption und Kriminalität auf die hinteren Plätze. In Deutschland gelang das allerdings nicht ganz. Dort behauptete Armut und Ungleichheit 2021 noch knapp vor Corona und der Klimaangst den ersten Platz der Sorgen.

2023 war keine gute Zeit, was Ablenkung durch Angst vor einem externen Bösewicht angeht. Weltweit und in Deutschland war 2023 die Coronaangst weitgehend verschwunden. Die Klimaangst hatte in allen entwickelten Nationen ihren Gipfel überschritten. Selbst in Deutschland, wo die Angst noch am stärksten war, reichte es nicht, um Inflation und Armut und Ungleichheit von den Plätzen eins und zwei der Sorgen der Bevölkerung zu verdrängen. Aber immerhin wurde die wachsende Angst vor der steigenden Kriminalität auf Rang vier verdrängt. Die Angst vor Krieg schaffte es damals noch nicht auf die vorderen Plätze. Wenn die Umfrage für 2025 veröffentlicht wird, dürfte sich zeigen, dass die Kriegsangst mit Armut und Ungleichheit um den ersten Platz konkurriert.

Wie sehr die Erzeugung von Angst vor externen Bösewichten propagandistisch herbeigeführt wird, zeigt sich daran, dass das Ausmaß der Klimaangst umgekehrt proportional zum regionalen Klima ist. 2023 machten sich in den sehr warmen Ländern Indien, Kolumbien und Brasilien weniger als zehn Prozent der Menschen Sorgen um die Erderwärmung; in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden dagegen ein drei mal so hoher Anteil einer Bevölkerung, die im Urlaub massenhaft vor dem heimischen kühlen Klima in den Süden flieht.

Es fällt auf, dass in allen hier aufgezählten Fällen, Corona, CO2, Kampf gegen Rechts und gegen Putin, Maßnahmen durchgesetzt wurden oder diskutiert werden, die die Kontrolle der Regierenden über das Tun und Lassen der Bevölkerung massiv steigern und proportional dazu die Freiheitsrechte einschränken. Lockdowns, Ausgangssperren und Impfpflicht, CO2-Budgetierung, Heizungsgesetz und öffentliche Lebensstilbewertung, Meinungskontrolle, Zensur und Hausdurchsuchungen, „Freiheitsdienst“ oder Wehrpflicht, und natürlich in jedem Fall sehr viel Steuergeld für den Kampf gegen das jeweilige Böse, das die Bürger berappen sollen.

Damit die Ablenkung so gut funktioniert wie wir das beim Kampf gegen Corona, CO2, die AfD und Russland gesehen haben und noch sehen, braucht es eine eingeübte Neigung der Menschen, die Welt in Gut und Böse einzuteilen. Die christliche Religion – und nicht nur diese – befördert das seit 2.000 Jahren in hervorragender Weise. Heutzutage wirksamer ist wahrscheinlich die unablässige Berieselung mit den Erzeugnissen aus Hollywood. Zu deren hervorstechenden Merkmalen gehört der bedrohliche Bösewicht, der von den Guten erst heldenhaft bekämpft und am Ende besiegt wird. Und danach ist das Böse weg und alles ist gut. Bei den Unmengen von Krimis aus europäischer Produktion, die unsere Fernsehabende daneben noch füllen, ist das Prinzip dasselbe, nur dass das Bedrohungsgefühl weniger intensiv ist, weil die Untat meistens schon geschehen ist. Der Bösewicht muss nur noch gefunden und neutralisiert werden.

Fortsetzung folgt…


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