Der Kontext und die Konsequenzen des aktuellen Konflikts: Teil 1.
Autor: Roger Boyd. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier. Die neuesten Pareto-Artikel finden Sie auch in unserem Telegram-Kanal.
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Dieser Beitrag erschien zuerst auf Englisch auf dem Substack-Blog “Geopolitics And Climate Change” des Autors.
Das erste, was Leute wie der unwissende Senator Ted Cruz verstehen sollten, ist, dass der Iran persisch und nicht arabisch ist und eine unabhängige Zivilisation darstellt, die bis in die Zeit des alten Griechenlands zurückreicht. Und dass der Islam eine Religion und keine Ethnie ist, wie auch das Judentum. Außerdem sollte er seine Bibel noch einmal lesen, insbesondere Genesis 12:1-3, wo es heißt:
“Da sprach der Herr zu Abram: Verlasse dein Land, deine Verwandtschaft und das Haus deines Vaters und zieh in das Land, das ich dir zeigen werde. Ich will dich zu einem großen Volk machen und dich segnen; ich will deinen Namen groß machen, dass du ein Segen sein sollst. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen, und alle Geschlechter der Erde sollen durch dich gesegnet werden.”
Das neue Evangelium nach Cruz & Co.
Das ist Abram, der Vater der drei großen abrahamitischen Religionen: Islam, Christentum und Judentum. Israel wird nie erwähnt, und es heißt auch ganz ausdrücklich, dass “alle Geschlechter der Erde durch dich gesegnet werden”. Wer die Bibel falsch zitiert und die Worte des christlichen Gottes ausdrücklich falsch wiedergibt, ist ein Ketzer. Ted Cruz sollte daran erinnert werden, dass er gewählt wurde, um den Amerikanern zu dienen, nicht um einer ausländischen Macht zu dienen. Hier zeigt er seine völlige Ignoranz und Verlogenheit in seinem Dienst für eine fremde Macht:
Die Scofield-Bibel, eine häretische Neuinterpretation der King-James-Bibel von Scofield, ist ein Kerntext der Dispensationalisten-Bewegung, die an eine Endzeit in der Gegenwart glaubt (und nicht, wie im Mainstream- Christentum angenommen, an den Fall Roms). Ich habe über die höchst fragwürdigen Ursprünge und die Verbreitung der Scofield-Bibel geschrieben, zusammen mit der damit verbundenen Verbreitung des kapitalismusfreundlichen Wohlstandsevangeliums. All das war ein politisches Projekt, kein religiöses. Nach Scofields Tod gab die Oxford University Press 1967 (dem Jahr des Sechstagekriegs) eine Aktualisierung mit dem Titel The New Scofield Bible heraus, die spezifische Ergänzungen enthielt, die die Unterstützung für den Staat Israel und sein Recht, das palästinensische Land einzunehmen, erheblich verstärkten; “fast eine Billigung der US-Außenpolitik gegenüber dem Staat Israel” (Donald Akenson, The Americanization Of The Apocalypse, S. 435).
Die Scofield-Bibel lehrt die Vorstellung, dass Nichtjuden “in Verbindung mit Israel gesegnet” sind und dass Gott den Raub des palästinensischen Landes zur Gründung Israels und die Zerstörung der Al-Aqsa- Moschee, der drittheiligsten Stätte in der muslimischen Welt, unterstützt, um den Tempel wieder aufzubauen (eine Kernüberzeugung der extremsten Zionisten); auch die Rückkehr der jüdischen religiösen Opfer.
Dieses sehr politische Projekt der Verbreitung eines Evangeliums, das den Kapitalismus und die zivilisatorische Vorherrschaft des Westens in den USA, die am Ende des Zweiten Weltkriegs nicht sonderlich religiös waren (und in denen die Religiösen dem sozialen Evangelium zuneigten, das den New Deal unterstützte), wird von Kevin M. Kruse in One Nation Under God ausführlich beschrieben. Ein äußerst erfolgreiches politisches Projekt, das die Ausgrenzung der Sowjetunion und Chinas als “gottlose Kommunisten” und später die Ausgrenzung der “muslimischen Terroristen” widerspiegelte.
Der geistesgestörte neoliberale Armageddon-Kultist Mike Huckabee, der US-Botschafter in Israel, ist nur eines der schwerwiegenderen Beispiele für den Erfolg dieses Projekts des christlichen Zionismus und des Wohlstandsevangeliums, das einen bedeutenden religiös-fundamentalistischen Teil der US-Bevölkerung hervorgebracht hat, der den imperialen Zielen der USA perfekt dient. Ein klassischer Fall von Gramscis kultureller Hegemonie, die genutzt wird, um einen großen Teil der Bevölkerung kognitiv dazu zu bringen, die US-Oligarchie gegen ihre eigenen politisch-wirtschaftlichen Interessen zu unterstützen, indem ein falsches Bewusstsein geschaffen wird.
Im selben Beitrag habe ich beschrieben, wie sich die jüdische Gemeinschaft in den USA während der McCarthy- Ära in den 1950er Jahren nach rechts gewandt hat, als sie angegriffen wurde. Die Umarmung des US-Imperiums und des Kapitalismus und das Festhalten an den Zentren der US-Macht als Verteidigungsmechanismus; ein Projekt, das methodisch über sieben Jahrzehnte durchgeführt wurde. Eine Strategie, die auch von der israelischen Regierung verfolgt wird, die sich für den Westen unentbehrlich macht und gleichzeitig nach Macht innerhalb des westlichen Gemeinwesens strebt, unterstützt von großen Teilen der jüdischen Diaspora. Dies kam dem Westen sehr gelegen, der froh war, seinen eigenen neokolonialen Diener in einer so wichtigen Region zu haben, der die Drecksarbeit des Westens nicht nur im Nahen Osten, sondern in der ganzen Welt erledigen würde, ohne dass der Westen dies abstreiten könnte.
Wie Joe Biden erklärte, hätten die USA ein Israel erfinden müssen, wenn es nicht existiert hätte. Theodor Herzl, der Großvater des Zionismus, war ein Atheist. So wie ein Atheist kein Christ oder Moslem sein kann, kann er auch kein Jude sein, wenn wir annehmen, dass das Judentum eine Religion und keine Ethnie ist (wobei Letzteres durch die grundlegende Genetik widerlegt ist). Herzl war offen für verschiedene Standorte für seinen jüdischen Staat, als politisches und säkulares Projekt. Netanjahu ist in einer säkularen Familie aufgewachsen und kann aufgrund seiner Äußerungen und Handlungen auch als Atheist angesehen werden. Er war der persönliche Sekretär von Ze’ev Jabotinsky, dem atheistischen Begründer des revisionistischen Zionismus, einem Mann, der zusammen mit Netanjahus atheistischem Vater einen überwältigenden Einfluss auf seine politische Philosophie hatte.
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Die Zeit läuft ab
Doch sowohl für die USA als auch für Israel läuft die Zeit in Bezug auf diese politischen Projekte ab. Von 2007 bis 2021 sank der Anteil der Evangelikalen (der Kern des religiösen Zionismus in den USA) von 30 % auf 24 % der Bevölkerung, und in jüngster Zeit liegt diese Zahl bei 23 %, wobei nur 14 % der 18- bis 29-Jährigen gegenüber 30 % der über 30-Jährigen stehen. Der evangelikale Glauben stirbt langsam aber sicher aus, und bis 2025 könnten diese 14 % alle unter 39 Jahre alt sein, während die derzeit 50-Jährigen und Älteren in die Jahre kommen, in denen die Sterberate steigt. Die Mehrheit der US-Juden unter 50 Jahren ist bereits nicht zionistisch eingestellt, wobei der Kern des US-Zionismus von einer kleinen Gruppe alternder jüdischer zionistischer Reicher finanziert wird. Gleichzeitig wird das säkulare Projekt Israel durch den Bürgerkrieg zwischen den säkularen (meist aschkenasischen) liberalen europäischen Juden und den ultraorthodoxen, überwiegend europäischen Haredi-Juden und den nichteuropäischen Mizrachi-Juden, die innerhalb Israels seit jeher rassistisch diskriminiert werden, auseinandergerissen. Alle sind bereit, Araber abzuschlachten und ihr Land zu stehlen, aber die beiden letztgenannten wollen einen wahrhaft jüdischen, fundamentalistischen Staat errichten, der das gesamte liberale Projekt der Aschkenasim ablehnen würde.
Im Extremfall würde Israel die jüdische Version des ISIS-Kalifats werden. Ein staatliches und politisches Projekt, das sein “Jüdischsein” unaufrichtig und aggressiv nach vorne schiebt, um die Opferrolle des Holocausts zu behaupten, wird nun ironischerweise durch die Auferlegung eines tatsächlichen jüdischen Religionsstaates bedroht; was die Tatsache unterstreicht, dass der Zionismus kein religiöses Projekt ist und sich vom Judentum unterscheidet. Währenddessen befindet sich die globale Macht der USA und des Westens, die in den 1990er Jahren ihren Höhepunkt erreichte, in einem säkularen Niedergang und damit auch die Fähigkeit des “großen Bruders” Israel, sie zu erhalten und zu schützen. Bei der Feindseligkeit des Westens gegenüber dem Iran ging es immer um Energie- und Geopolitik, nicht um Religion oder “Menschenrechte” oder ähnliches unaufrichtiges Geschwätz.
Wie Russland und China hat sich auch der Iran einer regelrechten Kolonialisierung widersetzt, obwohl es im neunzehnten Jahrhundert und in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu einer starken Einmischung und Beeinflussung durch Großbritannien kam. Das Land verfügte sowohl über große Mengen fossiler Brennstoffe als auch über eine strategische geografische Lage im Nahen Osten und behielt gleichzeitig seine eigene Kultur und Zivilisation. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Politik des Landes eine demokratischere Wendung, und in den frühen 1950er Jahren kam ein nationalistischer Führer, Mosaddegh, an die Macht, der sich bemühte, die Kontrolle über die riesigen fossilen Brennstoffressourcen zum Nutzen der Iraner zu übernehmen. Dies konnte der Westen nicht zulassen, und so kam es 1953 zu einem Staatsstreich von MI6 und CIA, bei dem Mohammad Reza Pahlavi (aus der zuvor gehorsamen Vasallen-Dynastie der Pahlavi) als Diktator zum Schah von Iran ernannt wurde. Er begann, die sozialistische Opposition durch umfangreiche Verhaftungen, Folter und das Verschwindenlassen von Personen durch die brutale Geheimpolizei Savak zu vernichten.
Die propagandistische Verwendung von Bildern aus dieser Zeit, die einen “wohlhabenden” und “westlichen” Iran zeigen, zeigt, wie die Eliten lebten, nicht die Mehrheit. Es zeigt auch, wie unaufrichtig so viele der westlichen “kritischen” Wissenschaftler sind, die “kritische” und “feministische” Tropen im Dienste des Imperiums propagieren und dabei die politisch-ökonomischen, imperialen und neokolonialen Realitäten völlig ignorieren. Nach 26 Jahren Schah war die einzige wirkliche Opposition, die noch übrig war, das religiöse Establishment, und deshalb dominierten sie die Revolution von 1979, die den Schah stürzte. Bei der Revolution gab es keine Säuberung der kapitalistischen Elite und anderer oppositioneller Kräfte wie in der Sowjetunion und in China, während ein erheblicher Teil der Mehrheit zurückblieb, um eine liberale und westlich orientierte Minderheit zu repräsentieren, die offen für westliche Dominanz und Verrat am Staat ist.
Der Westen bezeichnet diese als “Progressive”, obwohl es sich in Wirklichkeit um Hardliner-Neoliberale handelt, die ihr Land gerne in einen westlichen Vasallen verwandeln würden, der ihre eigene interne Vorherrschaft und Kleptokratie erleichtert - genau wie unter dem Schah. Ein neuer unabhängiger Iran war für den Westen nicht akzeptabel, und er drängte den Irak, in den Iran einzumarschieren, um das neue Regime zu zerschlagen, was zum iranisch-irakischen Krieg führte, der von September 1980 bis August 1988 dauerte. Der Iran wurde nicht besiegt, aber riesige Mengen an Ressourcen, die in den Aufbau eines neuen Iran hätten fließen sollen, wurden in einem Krieg vergeudet, in dem die Iraker in großem Umfang Giftgas einsetzten (das aus Zutaten hergestellt wurde, die der Westen wissentlich und bereitwillig geliefert hatte).
Dies kann in gewisser Weise als Parallele zu den westlichen Invasionen in die Sowjetunion zur Unterstützung der weißrussischen Streitkräfte und der polnischen Invasion im Anschluss an die russische Revolution von 1917 gesehen werden; ein Versuch, das neue Regime auszulöschen, bevor es sich wirklich etablieren konnte. Beide scheiterten, allerdings zu hohen Kosten für die neuen Regime. Und ja, noch 1988 verrichtete der Irak die Drecksarbeit des US-Imperiums. Die massiven Kosten dafür veranlassten Saddam Hussein, in Kuwait einzumarschieren (nachdem er von den USA grünes Licht erhalten hatte), um neue Einnahmen zu erzielen. In den 1990er und 2000er Jahren verzettelten sich die USA in ihren Kriegen im Nahen Osten; sie scheiterten an der ersten irakischen Hürde ihres “Sieben-Nationen-in-fünf-Jahren”-Projekts oder an Irak, Syrien, Libanon, Libyen, Iran, Somalia und Sudan, während sie sich auch in Afghanistan verzettelten. Da sich das US-Imperium auf andere Länder konzentrierte, gewann der Iran einen gewissen Handlungsspielraum und blühte relativ gesehen auf.
Unter Verwendung der Kaufkraftparität stieg das iranische Pro-Kopf-BIP von 7.260 US-Dollar im Jahr 1990 auf 18.490 US-Dollar im Jahr 2010. Dann kam der Einbruch des Ölpreises Mitte der 2010er Jahre und die Sanktionen gegen Irans legale nukleare Anreicherungsaktivitäten hinzu. Dazu gehörten auch die Maßnahmen des US-Vasallen EU, den Iran vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abzukoppeln. Zu keinem Zeitpunkt wurden Sanktionen gegen ein Israel gefordert, das offen gegen den Atomwaffensperrvertrag verstößt; das Problem mit dem Iran hat nichts mit seinem zivilen Atomprogramm zu tun. Hätte der Iran tatsächlich Atomwaffen, wäre er eher in der stärkeren Position, die ein atomar bewaffnetes Nordkorea genießt. Die gescheiterte Besetzung des Iraks durch die USA ab 2003 hat zu einem erheblichen iranischen Einfluss in einem Irak geführt, der zuvor ihr Feind war.
Teil 2 folgt in Kürze.
Roger Boyd ist Absolvent des Global Governance PhD-Programms der Balsillie School. Seine Forschung konzentriert sich auf den gemeinsamen Übergang der globalen Machtpolitik und des globalen Energiesystems zu kohlenstoffarmen Quellen, wobei er sich insbesondere auf die Wechselwirkungen und Abhängigkeiten zwischen beiden Bereichen konzentriert. Er arbeitet mit einem großen akademischen Verlag an der Veröffentlichung seiner Doktorarbeit in Buchform.
Vor Beginn seines Doktoratsstudiums war er 25 Jahre lang als Führungskraft in der Finanzbranche tätig und verfasste ein Buch über die Zusammenhänge zwischen dem Energie- und dem Finanzsystem. Zuletzt hat er einen Roman fertiggestellt, der von einer durch den Klimawandel ausgelösten Krise handelt.
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