Dieser Artikel entwickelt eine Alternative zur dominanten akademischen Wissensproduktion. Er kritisiert das post-positivistische Paradigma, das mit seiner Fixierung auf Falsifizierbarkeit systematisch andere Wissensformen ausschließt. Die dezentrale Wissensproduktion durchbricht diese Machtstrukturen und demokratisiert Wissen.
Als dezentrale Forscherin finde ich mich oft in einer paradoxen Situation wieder:
Ich produziere Wissen außerhalb akademischer Institutionen, nutze dabei verschiedene Wissensformen und muss dann entscheiden, wie ich mit Quellen und Referenzen umgehe. Das zentralisierte akademische System verlangt von mir eine Form der Quellenarbeit, die auf Peer-Review-Prozessen und hierarchischen Wissensstrukturen basiert. Doch genau diese Form der Referenzierung verhindert was ich mit meiner Forschung bezwecke: Wissen zu generieren.
Dieser Text beschreibt eine Alternative zur akademischen Wissensproduktion: dezentrale Forschung, die verschiedene Wissensformen gleichberechtigt behandelt, methodische Transparenz über formale Quellenarbeit stellt und Wissen demokratisiert statt es in Institutionen zu konzentrieren.
Was ist Wissen, was ist Wahrheit?
Viele Menschen halten für wahr, was sie sehen, hören, tasten, das heißt mit Sinnenorganen wahrnehmen können. Diesen Standpunkt könnte man als “naiver Realismus” bezeichnen. Wenn wir Platons Definition von Wissen als wahre, begründete Überzeugung folgen, so versteht unser Zeitgeist darunter weniger die subjektiven “guten Gründe”, sondern die objektiven Daten. Wissen muss also wahr und objektiv begründet, dem Zeitgeist entsprechend messbar sein. Bauchgefühl oder Intuition zählen nicht(s).
Hier zeigt sich ein fundamentaler ontologischer Konflikt: Was ist wahr, und wie können wir es erkennen? Der naive Realismus unserer Sinneserfahrung steht auf wackligem Grund. Schon die antiken Skeptiker zeigten, dass unsere Sinne systematisch täuschen können. Die zeitgemässe Neurowissenschaft bestätigt dies. Wir konstruieren Realität aktiv durch neurobiologische Prozesse, kulturelle Prägungen und persönliche Erfahrungen, anstatt sie passiv zu empfangen. Was wir für “objektive” Wahrnehmung halten, ist bereits eine hochkomplexe Interpretation, die innerhalb von Sekundenbruchteilen stattfindet.
Die akademische Wissenschaft mit ihrer Betonung auf Messbarkeit und “objektive Daten” scheint zunächst einen Ausweg zu bieten. Doch auch die wissenschaftliche Beobachtung ist theoriegeladen. Wir erkennen das, was unsere Konzepte, Messinstrumente und Paradigmen uns zu sehen ermöglichen. Wer dies vertiefen möchte, findet bei Thomas Kuhn eine umfassende Beschreibung, wie wissenschaftliche Weltbilder bestimmen, was überhaupt als valide Evidenz gilt. Die Essenz seiner Arbeit ist die Erkenntnis, dass vermeintlich objektive Daten durch subjektive Vorannahmen strukturiert sind. Evidenzbasiertes Wissen, was wir oft mit Wahrheit gleichsetzen, ist darum stets auch subjektiv.
Besonders problematisch erscheint mir die systematische Geringschätzung dessen, was Michael Polanyi als “tacit knowledge” – stillschweigendes Wissen – beschrieb. Intuition und “Bauchgefühl” repräsentieren oft unbewusste Mustererkennung basierend auf umfangreicher Erfahrung. Diese Form des Wissens entzieht sich teilweise der expliziten Verbalisierung und Quantifizierung, kann aber durchaus erkenntnisreich und handlungsleitend sein. Wenn wir sie kategorisch ausschließen, berauben wir uns wichtiger Erkenntnisquellen, die sich aber erst ergeben können, nachdem Menschen sich intensiv mit einem Forschungsgegenstand beschäftigt haben. Für mich ein wichtiger Aspekt der Expertise. Der dominante post-positivistische Ansatz in der akademischen Wissensproduktion, der Wissen primär über das Falsifikationsprinzip definiert (Wissen ist das, was prinzipiell widerlegbar ist, (Popper)), schließt systematisch andere Wissensformen aus und führt uns in einen Objektivitäts-Subjektivitäts-Konflikt. Eine Sackgasse.
Ein weiteres Problem unserer Wissensgesellschaft ist der Umfang unseres Korpus geschriebenen Wissens, der so gewaltig geworden ist, dass wir nur noch einen verschwindend kleinen Teil zur Kenntnis nehmen. Selbst wenn wir hypothetisch alle Texte zur Frage lesen könnten, wie beispielsweise ein Stein fällt – von Aristoteles über Newton bis zur Stringtheorie – würde uns das allein nicht urteilsfähig machen. Der Physiker Matthias Rang argumentiert, dass es letztlich unsere Leiblichkeit und der durch sie mögliche Wirklichkeitsabgleich ist, der uns erst ermöglicht, den Sinnzusammenhang zu erschließen. Wann immer eine Frage unsere Welt betrifft, wird sie “letztlich nicht im logischen Raum, sondern im Wirklichkeitsabgleich beantwortbar.”
Diese Perspektive stützt die Anerkennung von tacit knowledge und erfahrungsbasiertem Wissen. Doch während Rang in seinem Artikel primär auf das naturwissenschaftliche Experiment als Wirklichkeitsabgleich fokussiert, gehe ich einen Schritt weiter. Auch Wissen, das sich nicht experimentell überprüfen lässt, kann durch leibliche Erfahrung und Resonanz validiert werden. Der “Wirklichkeitsabgleich” findet nicht nur im Labor statt, sondern in der gelebten Erfahrung von Menschen – in ihrem Körper, in ihrer Praxis, in ihrer alltäglichen Lebenswelt. In dem Eindruck von Resonanz.
Wissen als pragmatische Praxis: Warum ich anders forsche
Um zu verstehen, warum ich eine andere Form der Wissensarbeit praktiziere, muss ich erläutern, wie ich zu forschen gelernt habe – nicht an den Hochschulen versteht sich. Dort lernte ich andere Dinge.
Meine Art zu forschen ist inspiriert vom dialektischen Pragmatismus: dogmatische Positionen lehne ich ab und orientiere mich an dem, was in konkreten Situationen oder Fragestellungen funktioniert. Wissen und Wahrheit entsteht nach dieser Auffassung aus der ständigen Wechselwirkung zwischen mir als Forscherin und meiner Umwelt – zu der auch Texte, Gespräche, Beobachtungen und ja, auch wissenschaftliche Studien gehören. Doch nicht alles, was ich als Wissen anerkenne, muss durch eine randomisierte kontrollierte Studie “bewiesen” werden. Mitunter kann es auch gar nicht mittels einer Studie überprüft werden. Phänomenologisches Wissen (wissen, dass es funktioniert), praktisches Wissen (wissen, wie es funktioniert) und wissenschaftliches Wissen können gleichwertig nebeneinander stehen, wenn sie eben zu brauchbaren Erkenntnissen führen. Diese drei Wissensformen sind per se begründbar, doch finden sich für phänomenologisches und praktisches Wissen eben keine Studien. Das ist weder unwissenschaftlich noch “Pseudowissenschaft”, sondern genauso Wissenschaft - vorausgesetzt, wir bewegen uns ontologisch eben im Pragmatismus.
Ebenso bin ich geprägt von der Praxistheorie. Sie half mir zu verstehen, dass Wissen nicht einfach “da draußen” existiert, sondern durch das entsteht, was wir täglich tun, was ich täglich tue. Wissen entsteht durch mich (und andere). Die Frage, was ich als Wissen “akzeptiere”, bildet ein Fundament und wird erweitert durch eine Praxis der Wissensarbeit. Die Art und Weise wie ich recherchiere, lese, beobachte, verknüpfe, schreibe und denke, schafft einen Raum in dem mein Wissen sein und werden kann. Und genauso bei allen anderen Forschenden auf dieser Welt. Entscheidend dabei ist jedoch, dass zwischen mir und meiner Wissenspraxis eine Rekursivität besteht: Wenn ich anders mit Wissen umgehe, ändert sich eben die Form wie ich Wissen zitiere. Wenn ich anders zitiere, ändere ich auch, wie Wissen “funktioniert”. Ich als Forscherin bin integraler Teil dieser Rekursivität.
Die geforderte Objektivität in der Wissensproduktion ist allein unter dieser Betrachtungsweise gar nicht möglich. Dennoch folgt mein Vorgehen Methoden und hat zum Ziel Erkenntnis (ich setze Erkenntnis mit “Wissen” gleich) von Meinungen oder Behauptungen abzugrenzen. Quellenangaben dienen oftmals genau diesem Zweck; Meinung soll damit als Erkenntnis sichtbar gemacht werden und aus der subjektiven Sphäre in die Objektivität gehoben werden. Dass nur ein Bruchteil dieser Studien reproduziert werden können (ein Hauptmerkmal der “Wissenschaftlichkeit”), interessiert niemanden mehr, solange bloß bei jedem Satz ein “et al.” am Ende steht.
Wie ein Geschäftsmodell unser Denken über Quellen verzerrt
Doch woher kommt eigentlich diese Fixierung auf Quellenangaben? Die Art, wie wir heute über “seriöse Quellen” denken, ist das Ergebnis eines Geschäftsmodells, das Robert Maxwell in den 1950er Jahren entwickelt hat. Maxwell – der Vater von Ghislaine Maxwell – revolutionierte das akademische Verlagswesen mit einem simplen Trick. Er ließ Wissenschaftler:innen kostenlos für ihn arbeiten, sowohl als Autor:innen als auch als Gutachter:innen, und verkaufte ihnen dann ihre eigene Arbeit teuer zurück. Das “Publish or Perish”-System, das heute die Wissenschaft dominiert, ist ein direktes Resultat dieser Strategie. (Eine Artikel dazu findet du hier.) Für meine Wissensarbeit bedeutet das: Was als “wissenschaftlich seriös” gilt, ist oft nur das, was durch dieses kommerzielle System gefiltert wurde.
Eine Studie in “Nature” kostet über 12.000 Dollar zu veröffentlichen. Das schließt systematisch unabhängige Forscher:innen, kleine Labore und Wissenschaftler:innen aus ärmeren Ländern aus. Gleichzeitig werden “sichere” Forschungsthemen bevorzugt, die bestehende Paradigmen bestätigen, weil Peer-Reviewer dazu neigen, das zu akzeptieren, was sie bereits kennen. Der Confirmation-Bias at its best! Bahnbrechende Ideen – Neues wird ja bekanntlich zunächst abgelehnt – haben es schwer in diesem System. Eine dezentrale Praxis durchbricht diese Logik: Ich kann riskante Fragen stellen, innovative Methoden verwenden und Wissen schaffen, ohne institutionelle Gatekeeper um Erlaubnis zu fragen.
Das Problem ist also nicht nur ein epistemologisches, sondern ein zutiefst politisches: Wer bestimmt, was als Wissen gilt?
Das Maxwell-System konzentriert diese Macht in den Händen weniger Verlage und Elite-Institutionen. Dezentrale Wissensproduktion durchbricht diese Hierarchien. Sie ermöglicht es Menschen außerhalb akademischer Institutionen, legitimes Wissen zu schaffen und zu teilen. Das ist ein Akt der Wissensdemokratisierung.
Vom Mut zum eigenen Denken
Ich habe zunehmend den Eindruck, dass in der Wissenproduktion quasi eine Angst vor dem eigenen Denken besteht. Rigorose Quellenangaben mit lauter Studien aus renommierten Fachzeitschriften verstehe ich darum als vermeintliche Boten von Sicherheit: Wenn ich für jeden Satz eine “gute” Quelle “habe”, wo bleibt denn mein eigenes Denken? Wessen Wissen ist das denn, und ist dieses auch “wahr”?
Eigenes Denken ist doch der Ursprung allen Wissens und aller Erkenntnis. Descartes betonte, jede Erkenntnis beginne bei uns selbst. Ein Buch oder eine Studie ist lediglich der Auslöser. Laufend filtere ich Informationen; alles was ich aus einem Buch oder einer Studie aufnehme wird durch meine eigene Denkstruktur geordnet, interpretiert, vielleicht auch verzerrt und vielleicht gehe ich damit in Resonanz. Alle Erkenntnis, alles Wissen sind keine endgültigen Wahrheiten sondern bestenfalls Momentaufnahmen. Popper, der Vater des aktuellen Wissensparadigmas, betonte stets deren Vorläufigkeit. Wissenschaftliche Aussagen sind offen für Diskurs und Weiterentwicklung, Wahrheit ist ein Prozess, der sich entwickelt und bewegt wie Heidegger betonte. Hinter jeder Quelle stecken denkende Menschen, alles Wissen ist Resultat von Überlegungen, die jemand anderes angestellt hat. Und andere Denker können sich genauso irren wie ich mich. Und wie oft habe ich in den letzten Jahren mein Wissen revidiert.
Ja, ich verspüre manchmal Angst mich zu irren. Gleichzeitig verstehe ich diese Angst als “Schwindel der Freiheit” (Kierkegaard), als ein Hinweis darauf, dass ich kurz davor stehe, selbst zu entscheiden, und zu denken. Diese Angst ist mir Schwelle zum eigenständigen Denken; ich versuche mutig darüber zu gehen. Bestehendes Wissen von anderen Menschen ist wertvoll, entfaltet seine Kraft aber erst, wenn ich es mit meinem eigenen Denken verbinde. (Wissenschaftlicher) Fortschritt entsteht nicht durch passiven Konsum, sondern durch aktives, eigenes Denken. So ist die Überwindung der Angst vor dem eigenen Denken letztlich auch ein Schutzschild gegen Fehlinformation und Manipulation durch das System.
Und doch hat auch das eigene Denken so einigen Verzerrungen Stand zu halten. Die Verzerrungsblase der “Eigenrecherche” und des “Selbstdenkens” ist real und begegnet mir täglich. Selber Denken bedeutet nicht, sich selbst Recht zu geben. Es geht darum alle verfügbaren Perspektiven zu einem Thema aktiv zusammenzutragen; auch die, die vielleicht nicht zu meinen Hypothesen passen. Besonders die.
Methodische Transparenz als demokratische Praxis
Wissen entsteht immer auch durch Methode, auch mein “eigenes Denken” habe ich soweit “erzogen”, dass es Grundsätzen folgt, wissenschaftlich ist, ich aber dennoch nicht hinter jeden Satz eine Quelle setzen will und kann.
Im Sinne des Methodenpluralismus wähle ich Quellen basierend auf meinen konkreten Forschungsfragen aus, nicht aufgrund paradigmatischer Überzeugungen. Eine persönliche Erfahrung aus einem Gesundheitsforum kann genauso wertvoll sein wie eine randomisierte Studie – es kommt darauf an, welche Frage ich gerade stelle. Oftmals arbeite ich zirkulär statt linear und praktiziere Rekursivität: Neue Quellen lassen mich frühere Quellen neu lesen, und umgekehrt. Dieser Prozess hört nie wirklich auf, jede neue Erkenntnis formt die vorherigen um. Dabei hinterfrage ich nicht nur mein bestehendes Wissen, sondern auch meine eigene Positionierung und meine methodischen Entscheidungen. Warum wähle ich diese Quelle und nicht jene? Welche Vorannahmen bringe ich mit? Das vielleicht wichtigste Prinzip ist Antidogmatismus: Ich bleibe offen für sämtliche Perspektiven und lehne es ab, bestimmte Quellentypen prinzipiell auszuschließen oder zu privilegieren.
Wie ich meine Quellenarbeit dokumentiere
Ich verwende Quellenangaben darum exemplarisch. Wenn ich für jeden Artikel quasi eine systematische Review durchführen müsste – so wertvoll das auch wäre – würde das meine Wissensproduktion massiv verlangsamen und vereinseitigen. Stattdessen referenziere ich Quellen dort, wo sie dienlich sind; um zum Weiterlesen anzuregen, Dinge zu vertiefen oder verschiedene Perspektiven zu beleuchten. Das ist ehrlicher, als so zu tun, als hätte ich alle verfügbaren Quellen berücksichtigt.
Meine Forschung dokumentiere ich in “Zettel” in einem Zettelkasten (ein Teil davon findest Du hier), die unterschiedliche Wissensformen berücksichtigen und später zu Texten oder wissenschaftlichen Aufsätzen wachsen. Das schafft aber ein Problem: Eigenes Denken und eigene Erkenntnisse entstehen durch Synthese und diese ist unmöglich zu referenzieren. Darum praktiziere radikale methodische Transparenz und deklariere explizit, was Synthese ist, was Beobachtung, was Annahme. Das ist nicht nur ehrlicher als das akademische ‘Cherry Picking’ beim Referenzieren - es ist methodisch überlegen. Statt Objektivität zu simulieren, mache ich meine Denkprozesse nachvollziehbar. Das ermöglicht echte Bewertung meiner Erkenntnisse.
Manchmal führt eigenes Denken auch dazu, dass ich mich beim Schreiben der didaktischen Reduktion bediene. Liebe Kenner:innen des Fachs, ärgere dich bitte nicht, wenn du den Eindruck hast eine Darstellung ist zu wenig gründlich. Ich bemühe mich darum Zusammenhänge immer wieder aufzugreifen und auf höherem Niveau wieder zu geben. Und manchmal werde ich verdichten um Dinge auf drei Seiten zusammenfassen, die eigentlich dreißig Seiten bräuchten. Auch hier bitte ich um Nachsicht. Mir ist es vordergründig wichtig, mein Wissen (mit) zu teilen in einer Form, in der es vielen und nicht nur Expert:innen zugänglich wird.
Resonanz statt Autorität: Wie Glaubwürdigkeit dezentral entsteht
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit ist auch bei dezentraler Forschung essentiell: Wenn ich nicht auf die etablierten Autoritäten des Peer-Review-Systems setze, wie entsteht dann Vertrauen in meine Arbeit? Meine Antwort: durch Resonanz.
Glaubwürdigkeit entsteht nicht durch externe Stempel von Institutionen, sondern wenn meine Erkenntnisse bei den Menschen anklingen, die sie betreffen. Wenn eine Beobachtung zur Gesundheit bei jemandem zu einer Wahrnehmung von “innerer Evidenz” führt – ein “Ja, genau das erlebe ich auch, das macht für mich Sinn” – dann ist das eine Form der Validierung, die genauso aussagekräftig ist wie eine Studie an einer großen Bevölkerungsgruppe.
Diese dezentrale Validierung entzieht den akademischen Gatekeepern die Definitionsmacht über Wissen. Menschen werden von passiven Konsumenten zu aktiven Wissensschaffenden. Das ist epistemologische Demokratie im gelebten Alltag.
Innovative Forschungsmethoden wie N-of-1-Studien zeigen, dass das Individuum sein eigener Forscher sein kann. Statt Menschen zu statistischen Einheiten in großen Gruppen zu machen, nehme ich jeden Menschen als Experten für seine eigene Erfahrung ernst. Das ist nicht weniger wissenschaftlich – es ist nur eine andere Art von Wissenschaft, die das Subjekt nicht auslöscht, sondern einbezieht.
Diese Form der Validierung ist dezentral und näher an der Lebenswelt der Menschen als das abstrakte Urteil anonymer Gutachter. Und auch aus diesen “individuellen Erfahrungen” kann durch induktives Schließen eine Art Metaebene erreicht werden: Wenn ähnliche Resonanzen bei verschiedenen Menschen auftreten, entstehen Muster, die auf allgemeinere Zusammenhänge hinweisen – ohne dass diese in der abstrakten Sprache der Statistik durch eine Hypothese geprüft werden müssen.
Neue Strukturen für neues Wissen
Die dezentrale Forschung, die ich praktiziere, braucht auch dezentrale Strukturen, um zu gedeihen. Das Maxwell-System mit seinen zentralisierten Verlagen und Gatekeepern wird nicht von allein verschwinden – wir müssen Alternativen schaffen.
Ich sehe großes Potenzial in Blockchain-basierten Lösungen, die dezentrale, manipulationssichere und zensurresistente Veröffentlichungs- und Bewertungssysteme ermöglichen könnten. Solche Plattformen würden keiner einzelnen Institution gehören und könnten von der wissenschaftlichen Gemeinschaft selbst verwaltet werden. Statt anonymer Peer-Review könnten transparente, community-basierte Bewertungssysteme entstehen, die einsehbar sind. Schließlich aber könnten neue Strukturen helfen, dass verschiedene Wissensformen gleichberechtigt nebeneinander stehen. Wissen und Macht stehen ja bekanntlich eng beieinander. Dezentrale Systeme rücken die beiden ein gutes Stück auseinander und ermöglichen der Freiheit Platz.
Dezentrale Wissensproduktion ist also mehr als eine methodische Alternative, sie ist ein politisches Projekt.
Sie befreit Wissen aus institutionellen Käfigen und gibt es dorthin zurück, wo es hingehört: zu den Menschen, die es brauchen und mit ihm arbeiten. Methodische Transparenz statt formaler Autorität, Resonanz statt Peer-Review, eigenes Denken statt Zitatenmasse sind die Werkzeuge einer neuen, demokratischen Wissensgesellschaft.