Ein Essay von Monika Wolff.
Autor: Monika Wolff. Dieser Beitrag wurde mit dem Pareto-Client geschrieben. Sie finden alle Texte der Friedenstaube und weitere Texte zum Thema Frieden hier.
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Bochum hat viele Namen. Bochum ist eine multikulturelle Universitätsstadt im Ruhrgebiet mit ca. 370.000 Einwohnern. Diese Region ist durch den Bergbau und die zugehörige Industrie wirtschaftlich stark geworden. In der Innenstadt herrscht „Flimmerflut“, wie ein anderer Autor es neulich mal genannt hat. Aber das Umland von Bochum ist grün und lädt zum Radeln ein.
Bochum hat seit fünf Jahren einen kleinen, aber stabilen Widerstand, der sich aus eher älteren Menschen (Ü 50) aller sozialen Schichten zusammensetzt.
Gestern, am 27.09.2025, wurde dieses 5-jährige Jubiläum auf dem Dr.-Ruer-Platz dem Anlass entsprechend von einer großen Menschenmenge gefeiert.
„Große Menschenmenge“ bedeutet, dass man eine kleine Kirche mit diesen Menschen hätte füllen können. „Feiern“ bedeutet, dass man sich mit Butterbrot und Thermoskanne irgendwo draußen zusammen findet. Dieser besagte Platz im Herzen Bochums wurde leider erst 1959 ehrenvoll nach Dr. Otto Ruer, einem tapferen Oberbürgermeister der Stadt Bochum, benannt.
Christian und Joachim schultern seit fünf Jahren die gesamte Organisation dieses Widerstandes. Sie selber würden das so nie formulieren, weil sie bescheiden sind. Ohne sie würde der Widerstand jedoch nicht mehr LAUFEN, so meine Einschätzung.
Auch gestern haben die beiden wieder eine professionelle Kundgebung auf die Beine gestellt, die nicht nur wegen der tollen Redner interessant war. Der Künstler Yann Song King erfreute die Menschen zusätzlich mit seinem Gesang, begleitet von einer Gitarre. Er bringt die Menschen spätestens nach der ersten Strophe zum Lachen und Mitsingen und schaut selbst dabei ganz ernst drein.
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Die Redner:
Chris Moser begleitet diesen Widerstand in Bochum als Mensch und Rechtsanwalt. Er zeigt Gesicht, gibt Auskunft und war bei vielen Gerichtsverhandlungen, die gegen den Arzt Dr. Andreas Triebel in Bochum geführt wurden, als Prozessbeobachter gegenwärtig. Er ist einfach da, wenn man ihn braucht. Er postet immer zuverlässig die neusten Informationen zu dem Arzt aus Recklinghausen, der zurzeit in Haft ist, und zu dem Klavierspieler, dem erst das Piano beschlagnahmt wurde und der sich nun ebenfalls in Haft befindet. Chris Moser behält und verschafft Überblick.
Sabrina Kollmorgen hat aus dem Herzen gesprochen. Der für mich wichtigste Satz ihrer Rede war, dass sie es geschafft hat, ihren Sohn „aufzuwecken“. Das hat mich persönlich sehr gefreut, weil ich mal eine Online-Ausstrahlung mit ihr gesehen hatte, wo sie darüber berichtete, welches Stigma ihr Sohn verkraften musste, weil sie, die Mutter, sich mit ihren Friedensaktivitäten exponiert hatte. Nun steht der Sohn voll hinter ihr.
Dr. Andreas Triebel, ein Arzt aus Bochum, dessen Alter man schlecht schätzen kann, hat eine physische Erscheinung wie ein junger Mann, obwohl er schon im Rentenalter ist. Er ist seit der ersten Stunde auf der Straße und zeigt Gesicht, was ihm viel Arbeit mit der Justiz beschert hat. Wenn man wissen will, wie ein Arzt arbeitet, dann muss man seine Patienten fragen. Die Bochumer Justiz hat das getan. Die Zeugen, die sich im Bochumer Landgericht zu Dr. Triebels Arbeit erklären durften bzw. mussten, haben ihn mit Komplimenten überschüttet, wie ich das selten von Patienten gehört habe. Der Prozess war ja öffentlich. Sie betonten immer wieder, dass er zuhöre und mitfühle, wenn man über persönliche Ängste und Sorgen spreche und dass er sich Zeit nehme und dass das heute eine Seltenheit sei, wenn man zum Arzt gehe.
Dr. Alexander Christ, ein Rechtsanwalt aus Berlin, der sich offen kritisch zeigt, auch gegenüber eigenen Berufskollegen, und wichtige Netzwerkarbeit leistet, hat eine Rede gehalten, die menschlich ansprechend und ganz persönlich adressiert an die Zuhörer und Aktivisten in Bochum war. Rechtsanwälte brauchen Herz und Intelligenz. Alexander Christ hat beides.
Lars Oberndorf, Vorsitzender des Vereins Polizisten für Aufklärung, Kriminologe, Polizei- und Politikwissenschaftler und vermutlich noch einiges mehr, hat eine tiefe Radiostimme. Er redet flüssig und beruhigend. Man kann ohne Probleme 20 Minuten mit ungeteilter Aufmerksamkeit zuhören. Er fasst komplexe politisch-historische Ereignisse ganz einfach verständlich ohne Fremdwörter zusammen, so dass man jedes Mal etwas lernt. Seine Stimme trägt. Das ist ein Phänomen. WIE wir reden, ist oft viel wichtiger als das, WAS wir sagen. Aber, wenn beides stimmt, dann ist das ein Phänomen.
Michael Aggelidis, Politiker, habe ich erst nicht wieder erkannt, obwohl ich ihn schon mal an anderer Stelle gesehen und gehört hatte. Das lag an der Motorradjacke, die er diesmal trug. Aber, was ich sofort wieder erkannt habe, war diese kräftige vertraut klingende Stimme, von der man sich sofort persönlich angesprochen fühlt, weil sie sich unaufdringlich, ehrlich und direkt an einen wendet und sehr glaubwürdig Fakten transportiert und Zusammenhänge plausibel und geduldig erklärt, die man anschließend ohne jeden Zweifel sofort unterschreiben kann und möchte.
Artur Helios, Herzmensch, ist wohl das, was man einen Strahlemann nennt. Er hat seinen großen gelben LKW mit großer Redner-Bühne quer durch Deutschland gefahren, um allen Rednern eine gute Sichtbarkeit zu verschaffen. Auch er hat eine flammende Rede gehalten und zum Schluss der Kundgebung einen wunderschönen Musikwunsch geäußert: „Der Sänger in Ketten“ von Udo Jürgens. Ein Lied, das unter die Haut geht. Artur Helios hat auch schon andere tolle Friedensaktionen im Ruhrgebiet tatkräftig unterstützt. Er ist ein Strahlemann, der anpackt.
Heinrich Habig, der inhaftierte Arzt, und Arne Schmitt, der inhaftierte Klavierspieler, waren im Geiste bei uns.
Nach der fünfstündigen Kundgebung mit abschließendem Spaziergang durch die Innenstadt und den vielen persönlichen Eindrücken, die ich gestern hatte, habe ich nachts einen komischen Traum gehabt, der offensichtlich etwas verarbeitet hat, was ich tagsüber weggedrückt hatte, weil zu viele Informationen gleichzeitig auf mich eingeströmt waren. Ich habe von den seltsamen Fotografen geträumt, die professionell und mit großem Objektiv die Gesichter der Friedensaktivisten festgehalten haben. Das waren gleich mehrere gut gekleidete Damen und Herren mit akkuratem Haarschnitt im mittleren Alter, vom Typ „Finanzbeamter“, die diskret vorgingen. Sie wollten nicht provozieren, wie das auf anderen Demos schon der Fall war. Diesmal wollten sie nicht aufdringlich erscheinen. Sie fotografierten so, dass man es nicht merken sollte.
Wenn man komische Träume hat, dann soll man ja auf das Gefühl achten, das sich durch den Traum einstellt. Mich hat in diesem Traum eine Energie beschlichen, die ich am besten mit einem Vergleich beschreiben kann. Diese Fotografen hatten die Energie, die meine älteren Grundschullehrer Anfang der 1970er Jahre hatten. Das waren ältere Lehrer, die während des 1. Weltkriegs geboren worden waren und als junger Erwachsener den 2. Weltkrieg voll bewusst miterlebt hatten, nach dem Krieg ihr Studium zum Lehrer vollendeten und dann bis in die späten 70er und beginnenden 80er Jahre noch als Lehrer unterrichteten. Wie waren diese Lehrer? In meiner Wahrnehmung waren das rückblickend meist freundliche, sensible, aber komplett traumatisierte Menschen, die keine Ahnung hatten, dass sie traumatisiert waren. Sie hatten die Kriegserlebnisse abgespalten, um funktionieren zu können. Sie waren feingeistige Menschen mit vielfältigen Begabungen, aber sie wirkten emotional flach, nicht wirklich gefühlsmäßig ansprechbar. Sie kleideten sich gut, hatten gute Umgangsformen. Sie schimpften nicht, aber sie lachten auch nie. Ihre Seele war ausgeflogen. Sie funktionierten und taten das, was von ihnen erwartet wurde. Die Fotografen gestern haben mich an diese ehemaligen Lehrer von mir und deren eigentümliche Energie erinnert.
Mir kommt jetzt im wachen Zustand das Bild einer erloschenen Kerze in den Sinn, die auf dem immer noch gut gedeckten Tisch steht. Das gemeinsame Familienessen, das lebendige Sein der Seele, wurde durch den Krieg jedoch abrupt und für immer beendet, bevor das Essen überhaupt angerührt werden konnte, bevor die Seele den Körper be-geistern konnte. Der Krieg kommt manchmal zu früh in ein Leben. Und wenn er zweimal in ein Leben kommt, dann ist das zu schwer für die Seele. Seelen gehen dann manchmal lautlos und lassen den Körper einfach im vollen Funktionsmodus zurück. Der Mensch lebt weiter, aber unbeseelt. Ich mache mich über solche Menschen nicht lustig, denn meine Oma war auch so eine Person. Sie war zwar keine Lehrerin, sie war eine einfache Frau, die sieben Kinder zur Welt gebracht hatte. Der älteste Sohn fiel im Krieg. Sie war lieb, trug aber immer schwarze Hausröcke und in über 10 Jahren habe ich sie nie lachen sehen. Ich musste neulich auch zufällig darüber nachdenken, warum in meiner Kindheit viele alte Männer aus dem gutbürgerlichen Spektrum so schwere Alkoholprobleme hatten, wie ich das in späteren Jahren nicht mehr gesehen habe. Vermutlich war auch das nicht verarbeitetes Trauma. Warum Menschen in der heutigen Zeit diese Trauma-Energie immer noch transportieren, das weiß ich noch nicht. Energie bleibt vermutlich im Raum, verkörpert sich erneut, teilt sich auf Umwegen mit, weil sie letztlich erlöst oder eingelöst werden möchte. Grobe Ungerechtigkeiten bleiben im Raum stehen wie schlechte Luft. Jedenfalls hat mein Traum mir diese Energie, dieses Gefühl, ausgelöst durch die Fotografen auf der gestrigen Friedenskundgebung, heute Morgen auf dem Silbertablett serviert. Jede Information ist relevant. Und ich nehme diese Info gerne an.
Verstehen ist besser als Abwertung und Ablehnung.
Frieden hat auch etwas mit Verstehen zu tun.
Träume sind wichtig, weil sie Kontakte in andere Welten ermöglichen und Informationen beschaffen können, an die man mit dem Verstand nicht so einfach heran kommt, ich zumindest nicht.
Und Frieden in Bochum ist real, weil er hier und jetzt in meinem Bewusstsein LEBT.
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