Essen wie die Milliardäre (wollen)

Wie gut ist die neue Weltrettungsdiät, und wenn ja: für wen?

Sie ist sehr schlank, sehr schön, sie hat kurze, blonde Haare und Medizin studiert. Model war sie auch, und Milliardärin, oder wenigstens Milliardärsgattin.

Und sie steckt hinter einer Diät, die derzeit weltweit für Schlagzeilen sorgt und eigentlich eher so etwas ist wie ein Weltrettungsprojekt.

Gut für die Umwelt soll sie sein, das Klima, auch für die Menschen, sogar mehr Gerechtigkeit soll sie schaffen auf diesem Planeten.

Sie heißt: Planetengesundheitsdiät.

In der Originalsprache: Planetary Health Diet.

Gerade wurde sie der Weltöffentlichkeit stolz präsentiert.

Endlich: Ein Paradies auf Erden

Gunhild Stordalen, so heißt die schöne Milliardärin, kommt aus Norwegen, und sie hat es nicht nur geschafft, weitere Milliardäre mit ihren Stiftungen für ihr Projekt zu begeistern, sondern auch eines der renommiertesten Medizinjournale: The Lancet, samt Forschenden, die das verbreiten, was die Milliardäre möchten.

In ihrer neuesten „Analyse“ haben sie verkündett), was passieren muss, damit unser Planet so wird, wie sie sich das vorstellen.

Es ist natürlich keine Diät im üblichen Sinne, sondern eine Ernährungsweise mit strengen Regeln, die vor allem Schlagzeilen gemacht hat, weil sie Wurst und Fleisch rabiat von Tisch räumt, bis auf 15 Gramm am Tag.

Die Medien sind weithin begeistert. Auch die Expertenszene. Die (mittlerweile etwas umstrittene) Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). Krankenkassen wie die AOK. Die Verbraucherzentralen. Sogar Supermarktketten wie Edeka und Rewe.

Und selbst die deutsche Bundesregierung propagiert sie.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) war vorübergehend mit an Bord, ist dann aber wieder ausgestiegen.

Denn es gibt natürlich auch Kritik. Ob alles wirklich so gesund ist, und so gerecht, was sie da global vorschreiben wollen, die schöne Milliardärin und ihre Mitstreitenden.

So mault der britische Mirror, es sei eine “eklatante Heuchelei“, wenn sie mit ihrem mehr als 20 Millionen Euro teuren Privatjet um die Welt düse, zu allerlei Traumzielen, dabei einen eklatanten ökologischen Fußabdruck hinterlasse – und den einfachen Leuten aber den Bacon zum Frühstück nicht gönne.

“Eklatante Heuchelei”

Der Mirror präsentiert auch Fotos von ihrem „verschwenderischen Lebensstil“: „Gunhild“ beim Sonnenbaden in Mexiko, beim Ausgehen in Kuba, beim Umarmen eines Baumes in Costa Rica, beim Entspannen in Griechenland, am Pool und beim Meditieren an der französischen Riviera, mit ihrem Ehemann Petter Stordalen, dem Milliardär und Multiunternehmer, der ein ziemlich lustiger Vogel zu sein scheint (Screenshot: Instagram).

Mit ihm hatte sie im Jahre 2011 ihre Stiftung gegründet und das Projekt Weltrettungsdiät gestartet, die “EAT Initiative“, aus der später die EAT Lancet Kommission hervorging.

Auf Instagram lässt sie selbst die Welt an ihrem Jetset-Leben teilhaben, auch ihren Begegnungen mit den Berühmtheiten dieser Welt, von Greta Thunberg bis zum Papst, inklusive Schattenseiten, Scheidung, Krankheit.

Und den glanzvollen Auftritten bei den Mächtigen, etwa dem Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, wo sie bei den „Young Global Leaders“ aufgenommen wurde, wie auch bekannte Polit-Größen wie Annalena Baerbock, Cem Özdemir, Jens Spahn, US-Milliardäre wie Alexander Soros oder Peter Thiel.

Am 28. März 2019 wurde Gunhilds Projekt im Palais der Vereinten Nationen in Genf präsentiert, unter der Schirmherrschaft Norwegens.

Und sogleich kam auch Kritik auf. Der italienische Gesandte kritisierte die quasi diktatorische Verfügung einer globalen Zentralstelle über die Ernährung der Menschen dieser Welt.

Die Initiative, „die auf eine zentrale Kontrolle unserer Ernährungsentscheidungen drängt“, berge die Gefahr, „die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher völlig zu beseitigen“, so eine offizielle Verlautbarung der Mission Italiens bei den Vereinten Nationen in Genf.

Sie kritisierte auch die mangelnde Unabhängigkeit der Initiative.

Außerdem könne sie gerade die Ärmsten dieser Welt belasten.

Und wissenschaftlich belegt sei sie auch nicht.

Einseitig, schludrig, inkonsistent, und wissenschaftlich schwach – so das Verdikt der “Nutrition Coalition”, einer unabhängigen Ernährungs-Organisation, die für sich in Anspruch nimmt, kein Industrie-Geld anzunehmen.

Ihre Experten haben die Milliardärs-Diät detailliert unter die Lupe genommen und prognostizieren, sie führe zu schweren Nährstoffdefiziten und „ziemlich sicher zu Unterernährung und Krankheit“.

Gesund geht anders

Tatsächlich zeigen die vorliegenden Daten: Gesund geht anders.

Das kam bei der Untersuchung einer großen internationalen Forschungsgruppe heraus, veröffentlicht im European Heart Journal auf Basis der Daten von fast 250.000 Versuchspersonen in 80 Ländern (mehr dazu hier).

Die Forscher hatten penibel berechnet, was die Leute essen, die am gesündesten sind und am längsten leben. Und siehe: Das war etwas ganz anderes als das, was uns die „Planetary Health Diet” vorschreiben will.

Natürlich essen die Top-Gesunden viel Obst: 256,8 Gramm am Tag – sogar mehr als jene 200 Gramm, die die Milliardärs-Diät vorschreibt.

Bei Milchprodukten hingegen sind die Gesundheits-Champions dieser Welt sogar zurückhaltender, verspeisen täglich nur 185 Gramm Joghurt & Co., statt 250 wie bei den EAT-Lancet-Leuten.

Fleisch allerdings hatten die Gesündesten viel mehr genossen: 54,5 Gramm am Tag, statt der mageren 15, die uns Gunhild und ihre Freunde gönnen.

Ist Fleisch besser als die reichen Weißen glauben?

Ist Fleisch womöglich doch besser als sein Ruf, jedenfalls bei uns, aktuell, in den Medien der Weißen und Mächtigen?

Besonders wichtig ist das Fleisch ausgerechnet für die Ärmsten auf diesem Globus.

Darauf machte ein afrikanischer Minister aufmerksam, der sich auch mit den Vorschriften von Gunhild und ihren Leuten aus der EAT-Lancet-Kommission auseinandergesetzt hat.

Er warnt: Gerade für arme Kleinbauern in Afrika und ihre Kinder bedeute es ganz unmittelbar mehr Hunger, wenn man ihnen ihre Tiere wegnimmt: „Unsere Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner, Kamele“ brächten „allen Wohlstand, insbesondere den Frauen auf dem Land, die sonst kaum Geld verdienen können.“

Tierisches sei sogar intelligenzfördernd: “Für unsere Kinder kann ein Ei oder eine Tasse Milch am Tag einen entscheidenden Unterschied machen und dazu beitragen, Wachstumsstörungen und lebenslange kognitive Defizite zu verhindern.“

Er kritisierte die vorherrschende Sichtweise der weißen westlichen Machthaber, die von der Lebensrealität der Menschen in den ärmeren Zonen weit entfernt sei.

Und lud die vielleicht etwas lebensfernen Leute aus Gunhilds Milieu ausdrücklich ein zu einer Reise nach Afrika: „Sie werden eine Welt sehen, in der Viehzucht nicht Teil des Problems ist. Sie ist Teil der Lösung.“

Besonders gesund ist sie also nicht, die Diät der Milliardäre, und gerechter scheint unsere Welt damit auch nicht zu werden. Die Fakten sprechen offenbar eher dagegen.

Und doch scheint sie sich gerade weltweit durchzusetzen.

Zwar ist es es eine ganz spezielle Sicht der Dinge, die mit der Lebenswirklichkeit der Mehrheit auf diesem Planeten nicht viel zu tun hat.

Aber: Dahinter steht die Macht des Geldes.

Die Macht des Geldes

Denn das Weltrettungsprojekt der schönen Milliardärin wurde offenbar zu einem Magneten für Milliardäre und ihre Stiftungen, die das Gute wollen.

Zu den Geldgebern gehört nach eigenen Angaben zum Beispiel der Wellcome-Trust des Pharma-Industriellen Henry Wellcome (1853 bis 1936), der heute über ein Stiftungsvermögen von über 40 Milliarden Euro verfügt, darunter Aktienpakete von Nestlé, Unilever, Pepsi.

Außerdem die Ikea-Stiftung des Möbelhaus-Milliardärs Ivar Feodor Kamprad (1926 bis 2018), die Rockefeller-Stiftung aus der gleichnamigen Öldynastie, weiters die Novo Nordisk Stiftung, die von den Geschäften des dänischen Pharmagiganten und Foodindustrie-Zulieferers profitiert.

Und schließlich die ominöse Schweizer Seedling-Stiftung, die nach eigenen Angaben „Ende 2021 auf Initiative einer in der Schweiz lebenden Unternehmerfamilie aus der Pharmaindustrie entstand.“

Mit dabei ist, gemäßt) dem neuesten Report, überdies der britische Hedgefonds-Milliardär Chris Hohn mit seiner Children’s Investment Fund Foundation. Und dann natürlich der unvermeidliche Bill Gates mit seiner Weltwohltätigkeitsvereinigung.

Auch die einzelnen Mitwirkendent) der aktuellen EAT-Lancet-Publikation haben ihrerseits mannigfaltige „Interessenkonflikte“. Die können bekanntlich die Urteilskraft beeinträchtigen und werden deshalb im neuesten Statement von Gunhilds Weltverbesserungstruppe detailliert ausgewiesen.

Verbindungen etwa zur Stiftung ClimateWorks der Computerpioniers-Dynastien Hewlett und Packard. Oder der Stiftung des schwedischen Fastfoodkettengründers Curt Bergfors.

Oder einer erstaunlich unbekannten Institution namens CGIAR (Consultative Group on International Agricultural Research). Auch bei ihr kommt das Geld von Stiftungen, neben der von Bill Gates auch jener vom Cornflakes-Konzern Kellogg’s. Dabei sind aber auch transnationale Institutionen, die Uno, die Europäische Union und viele einzelne Nationen, auch die Bundesrepublik Deutschland, diverse Ölstaaten, sogar eigentlich Unberührbare wie etwa Russland.

Eine Vertreterin dieser Organisation sitzt sogar im Vorstand der EAT Lancet Kommission, neben dem Schweden Johan Rockström, dem Direktor des berühmten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er hatte die EAT-Vereinigung zusammen mit der schönen Gunhild gegründet.

Jahrelang waren bei dem Weltrettungs-Projekt auch noch „Strategische Partner” mit von der Partie, Danone, Novo Nordisk, Nestlé. Diese Partnerschaften, teilte Lancet auf Anfrage mit, seien aber „ausgelaufen“ und würden auch nicht mehr erneuert.

Dafür sind jetzt die Leute vom Kantinen-Zulieferer Sodexo mit an Bord, die weltweit täglich 80 Millionen Esser verköstigen.

Konzerne kämpfen für das Gute auf der Welt

Verpartnert ist Gunhilds Organisation für das Gute mit einer weltumspannenden Industrievereinigung, in der sich Konzerne aller Art zusammengeschlossen haben, neben Food-Multis auch Chemieriesen, Agro-Giganten, Autokonzerne, die führenden Wirtschaftsberatungsfirmen, selbst Ölkonzerne und Zigarettenhersteller.

Sie wollen sich jetzt für „Nachhaltige Entwicklung“ einsetzen und nennen sich deshalb World Business Council for Sustainable Development (WBCSD).

Sie haben sogar mit Gunhilds Initiative eine gemeinsame Tochterorganisation gegründet, die sich speziell fürs Essen einsetzt und der Weltöffentlichkeit stolz vom größten Nahrungs-Multi Nestlé präsentiert wurde.

Zu ihr gehören, Überraschung, auch jene Konzerne, die das Ungesunde herstellen, bekannte wie Nestlé, Danone, Unilever, eher unbekannte wie Femsa, der mexikanische Coca-Cola-Produzent, an dem Bill Gates mit seiner Stiftung mitverdient (mehr hier). Oder die Aromenkonzerne IFF, Symrise und Givaudan, die den Geschmack manipulieren und überhaupt erst ermöglichen, dass die Leute Sachen essen, die ihnen nicht gut tun: Jene Problemprodukte, die in der Medizin als „ultra-verarbeitete“ Nahrung bekannt sind und gefürchtet (Illu: WBCSD).

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Sie sollen für 32 verschiedene Krankheiten verantwortlich sein, inklusive der größten Menschheitsgeißeln, den sogenannten Zivilisationskrankheiten, den modernen Seuchen.

Die „ultra-verarbeitete Nahrung“ kommt sogar im neuen Reportt) von Gunhilds Weltverbesserungstruppe vor. So richtig im Zentrum steht sie allerdings nicht.

Bei der Weltpremiere der neuen Planetardiät in Stockholm kam sie auch nur am Rande vor, unter einer Fragestellung, die neuerdings als eine Art Schlachtruf der Risikoleugner um die Welt schallt: Sind sie denn alle schlecht, die „ultra-verarbeiteten“ Produkte?

Bei einem früheren Kongress in Stockholm (EAT Stockholm Food Forum) kamen sie sogar alle zusammen, um „Fortschritte bei der Umgestaltung der Lebensmittelsysteme zu diskutieren“: die Leute von Danone, Nestlé, Kellogg’s, Pepsi.

Sie wollten herausfinden, wie die „Herausforderungen in Bezug auf Klima, nachhaltige Entwicklung und Gesundheit gelöst werden können.“

„Lebensmittel können das Problem lösen“, hatte Gunhild Stordalen verkündet, die Gründerin und Präsidentin der EAT Foundation.

Stimmt schon. Aber ausgerechnet mit Cola, Cornflakes, Fruchtzwergen, Fünf-Minuten-Terrinen in eine glanzvolle, gesunde, gerechte Zukunft?

„Insgesamt deutet alles darauf hin“, meinen die unabhängigen Beobachter von der Nutrition Coalition, „dass EAT-Lancet ein Produkt internationaler Industrieinteressen ist – von Nahrungsmittelkonzernen, deren Produkte ernährungsbedingte Krankheiten hervorrufen, bis hin zu Pharmaunternehmen, deren Profite auf eben diesen Krankheiten basieren.“

Gemeinsam in eine strahlende Zukunft!

Man könnte auch sagen: Sieht so aus, als ob da alle Frösche zusammengetrommelt werden, um über die Trockenlegung des Sumpfes zu entscheiden.

Ein vorgeblicher Weltrettungsversuch also, bei dem die Ernährung im Zentrum steht – und die größten Böcke zu Gärtnern gemacht werden (und, wie man heute natürlich hinzufügen muss, auch die Zicken, also die weiblich gelesenen unter ihnen).

Vielleicht wäre doch eine Reise nach Afrika hilfreich. Oder überhaupt: in die Wirklichkeit.